Freitag, 22. November 2019
Was geschah am Kalkrieser Berg - Zeit für eine neue Erklärung oder die Lösung ?
„Denk ich an Kalkriese in der Nacht. Dann bin ich um den Schlaf gebracht“. So könnte man Heinrich Heine als Grundlage nehmen. Und wer Kalkriese sagt, meint Varus. Seit aber die Turbulenzen und das Verwirrspiel um „seine“ Schlacht im Jahre 9 + zu nahmen gerieten wieder die Schlachten aller Germanicus Feldzüge in die Mühlen der Forschung. Aber einen Umstand zog man warum auch immer bislang nicht näher in Betracht. Eine mögliche Auseinandersetzung die nicht in den bisher betrachteten zeitlichen Kontext zu passen scheint. Ein Scharmützel oder schon ein Gefecht zu dem es gekommen sein könnte, dass uns die Historie jedoch verschwiegen hat. So lohnt es sich aber den Blickwinkel zu erweitern und ich möchte bevor ich mich wieder verstärkt der Person des Segestes zu wende dieses aus mehreren Abschnitten bestehende Kapitel vorziehen, denn Strabo hat uns nicht nur etwas über Segestes hinterlassen, er hat uns auch noch ein Seil gespannt, das ich vorher noch überspringen möchte. Betrachtet man einen Hinweis den uns Tacitus hinterließ und bringen ihn in Verbindung mit einer Überlieferung aus der Feder von Strabo, so erhalten wir in der Essenz aus beidem eine Kombination von Ereignissen die uns in ein sehr auffälliges Zielgebiet lenkt, nämlich die Niewedder Senke. Denn Tacitus berichtet über ein sich zugetragenes Ereignis, das möglicherweise mit dem übereinstimmt das Strabo andeutet.Als der Brite Tony Clunn ab 1987 auf den Spuren von Theodor Mommsen am Nordrand des Wiehengebirges fündig wurde löste dies einen unerwarteten Boom unterschiedlichster Interessensrichtungen aus. In eine einst eher stille Region hielt eine pulsierende Dynamik einzug. Vom Erdreich gereinigte restaurierte Funde sprachen die Besucher an und es gelang morsche Historie als moderne Attraktion zu präsentieren. Aus einer bäuerlich geprägten Landschaft wurde ein musealer Schauplatz, der sich zum Selbstläufer entwickelte und was die große Distanz in eine weit zurück reichende Epoche schnell vergessen machte. Plötzlich traf sich eine ungewöhnliche Mischung aus Menschen die an Kultur interessiert sind, jenen die von der Neugierde Getrieben werden, Personen die beruflich mit der Geschichtsforschung befasst sind, Privatiers die es zu ihrem Hobby gemacht haben, Managern der Touristikbranche und die Konsum Orientierten. Allesamt befördert von einem Hauch Goldgräberstimmung dem die Politik gerne die Hand reichte. Der allgemeine Wunsch deutsche Frühgeschichte erlebbar zu machen, wollte fortan umfänglich und möglichst wahrhaftig befriedigt sein. Ein Ansinnen, dem man gerne nach kam und das man in dieser Gestalt und Dimension schon lange nicht mehr kannte. Und es wurden Fehler in der Aufarbeitung gemacht, die man aber langsam in der Knochenkiste der Geschichte begraben sollte. Der geweckten Erwartungshaltung in Verbindung mit dem ausgelösten Rechtfertigungsdruck verdanken wir nun aber einen kaum versiegenden Forschungsdrang der unseren Wissensstand kontinuierlich verbessert. Die anfängliche Deutung der zahlreichen im Boden ausgegrabenen römischen Relikte und Artefakte östlich des Bramscher Ortsteiles Kalkriese hatte die an Geschichte interessierte weltweite Community schon ins Schwärmen gebracht die darauf gesetzt hatte, der Varusschlachtort wäre nun endlich gefunden worden. Die Freude wich jedoch, als manches Erhoffte von der nüchternen Realität eingeholt wurde. Und seit dem man etwas davon abgerückt ist, da sich später diverse Ungereimtheiten einstellten die es schwer machen diese Schlacht mit der des Jahres 9 + als identisch zu erklären, werden auch wieder andere infrage kommende Schlachten jener Zeit für neue Bewertungen heran gezogen. Fortan können und dürfen auch einst abwegig erschienene Theorien nicht mehr gänzlich verworfen werden. Denn eine fehlende Gesamtlogik und die mangelnde Aussagekraft von Kontext und Funden lassen belastbare Festlegungen über die Umstände und Hintergründe des dortigen Geschehens bislang nicht zu. Eine an sich wünschenswerte Entwicklung. Denn Schlachtorte zu ungeklärten Ereignissen eignen sich besser zum Tummelplatz historischer Analysen und Hypothesen als Enträtselte. Auf der Suche nach der einen übrig bleibenden weil plausibelsten Variante oder der einzig wahren Erklärung bilden nun die Feldzüge des Germanicus die in den Jahren zwischen 14 + und 16 + stattfanden, den Kern des neuen Prüfbereiches. Neue Hoffnungen setzt man aktuell auch in die Archäometallurgie. Metallische Gegenstände aus anderen Regionen Europas die den drei unter gegangenen Legionen aufgrund unterschiedlicher Methoden zweifelsfrei zu geordnet werden können, vergleicht man nun mit den Metallfunden aus Kalkriese um über den „metallurgischen Fingerabdruck“ nachweisen zu können, dass sich die Varuslegionen in Kalkriese aufhielten und demzufolge in die dortigen Kämpfe verwickelt gewesen sein müssten. Es wäre dann eine Bestätigung dessen, was man umgangssprachlich eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nennt. Eine wissenschaftlich technologische Herausforderung die man schon fasst eine Operation an den offenen Wurzeln urdeutscher Geschichte nennen könnte. Ob diese Untersuchungen zu belastbaren Ergebnissen führen werden bleibt abzuwarten und solange lautet die Botschaft aus Kalkriese, dass in alle Richtungen "ungestraft" weiter spekuliert werden darf. Und da gibt es in der Tat eine Reihe interessanter Aspekte bzw. Anhaltspunkte, die man aufgreifen könnte. So auch eine Verbindungslinie die mir an anderer literarischer Stelle bisher noch nicht aufgefallen ist. Aber die zahlreichen in der Region verstreut aufgefundenen Münzfunde die sich inzwischen auf eine stattliche Anzahl von über 2000 Stück summiert haben dürften und die in den Jahrhunderten in der Übergangszone zwischen Berg - und Moorlandschaft zu Tage traten, lassen aufhorchen. Sie zeigen an, dass nördlich des Kalkrieser Berges einst eine Marschkolonne mit einer ansehnlichen Summe an Bargeld kompakt im Trosswagen verstaut oder verteilt über mehrere Schatullen unterwegs gewesen sein musste. Nicht nur die verschollenen Münzen von Gut Barenau oder andere Sammlungen die im Zuge der Weltkriege oder anderweitig abhanden kamen, galt es da mit einzubeziehen. Auch die zuletzt noch 2017 ausgegrabenen 200 Silbermünzen die vorwiegend aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert stammen und von denen die ältesten schon im Jahre 180 – geprägt wurden sind zu berücksichtigen. Somit Münzen von denen einige schon seit vielen Jahrzehnten in Umlauf gewesen waren, bevor sie im Untergrund um Kalkriese verschwanden. Geprägt wurden diese Münzen in einer Zeit als an die Varusschlacht noch gar nicht zu denken war. Daran lässt sich natürlich auch die Unzuverlässigkeit erkennen, anhand von Münzfunden genaue Datierungen vornehmen zu können. Denn angenommen, man hätte in Kalkriese nur Münzen aus dem Jahre 180 – gefunden, könnte man denn daraus schließen, dass römische Legionäre schon unter Marcus Porcius Cato Censorius, der 149 – in Rom verstarb bei Kalkriese kämpften. Sicherlich nicht. Anders betrachtet könnten wiederum dort gefundene Münzen mit dem VARus Gegen Stempel auch noch sehr viel später nach Varus in den Boden von Kalkriese gelangt sein, nämlich genau solange wie auch sie in Umlauf gewesen sein könnten. Bei den Münzen aus dem Jahre 180 – waren es im Jahre 9 immerhin schon rund 190 Jahre gewesen. Folgerichtig könnte man mit Varusmünzen sogar noch bis ins 3. Jahrhundert und darüber hinaus gezahlt haben. Stünde uns DNA fähige Substanz aus Kalkriese und daraus resultierend eindeutige Angaben zur Verfügung, so könnten wir manchen Spekulationen ein Ende setzen und würden uns glücklich schätzen. Aber welchen Umfang könnte bei diesem Fundvolumen die gesamte dort entlang transportierte Geldmenge gehabt haben. Was gelangte davon in den Boden und was fiel den Germanen in die Hände. Denn an einem germanischen Sieg an diesem Ort zweifelt niemand. Was konnten die Legionäre noch davon retten und was liegt heute immer noch unentdeckt im Boden. Schaut man sich die bisher untersuchte Fläche an und vergleicht sie mit einem möglichen Erwartungsraum wird schnell klar, was noch im Boden liegen könnte. Eine kostbare Fracht die da den alten Hellweg passierte. Hatte man für sie möglicherweise zu wenig Bewachungspersonal abgestellt oder waren die Angreifer zu stark. Wenn man sich allerdings mit einer ungewöhnlichen hohen Geldsumme wagte in Germanien die Hellwege zu nutzen waren Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Sich vorher mit dem dort ansässigen Germanenstamm auf ein Wegerecht zu einigen bzw. sich unter deren Schutz zu stellen ist solange denkbar, wie verlässlich die Germanen waren. Wie der Name Soldat schon sagt, wird Soldaten also auch Legionären ein Sold gezahlt und ihnen zeitversetzt ausgezahlt. Denn zuerst kommt die Arbeit und dann der Lohn. Nach getaner Arbeit beinhaltet bei Soldaten in der Regel nach einem Feldzug. Nach getaner Arbeit umfasst und bedeutet aber für Soldaten auch, dass die Soldzahlung nach einer Schlacht erfolgt. Legionären zahlte man wie überliefert ist ihren Sold drei Mal im Jahr aus, was sicherlich nicht an feste Kalenderdaten gebunden war. War die Garnison auf dem Feldzug, so war der Legionär mit seinen monetären Rücklagen umsichtig und nahm nur das Nötigste mit, denn es lauerten überall Gefahren. Er könnte im Gefecht seinen Münzbeutel verlieren musste aber auch befürchten, dass seine eigenen Stubenkameraden lange Finger machten. In den Standlagern am Rhein und anderswo wurden die Truppenkassen in einem Keller und dort symbolträchtig unter dem jeweiligen Fahnenheiligtum aufbewahrt. Die Behauptung aufzustellen, wonach römische Legionäre ihren Sold der aus früheren Zahlungen stammte auch auf dem Kriegszug mitgenommen haben könnten wodurch sich die Ansammlung erklären ließe, gehört nicht zu den sicheren und belastbaren Erkenntnissen der Forschung. Man nimmt daher an, dass die Soldaten nur im kleinen Rahmen Münzen am Körper mit sich führten. Mangels besserer Erklärungen hält man daher die aufgefundenen Münzen bislang für die Truppenkasse der Legion oder der Legionen. Eine erstaunliche Erklärung, denn in Anbetracht der Tatsache, dass man im Jahre 2016 acht Goldmünzen fand, darf man sich die Frage stellen, wem man denn während eines Feldzuges seinen Sold in Gold auszuzahlen hatte, oder traute man der Truppenkasse im Standortquartier nicht. Denn dieser Fund entsprach immerhin dem Jahreseinkommen eines höheren römischen Offiziers, der in Kalkriese als komplexer Fund in den Boden gelangte. Er könnte also einer oder mehreren Person zugeordnet werden. Sollte man die den Marschzug begleitenden Legionäre für deckungsgleich halten mit der Anzahl jener, die man im ergrabenen Marschlager hätte unterbringen können, so stellt sich erneut die Frage warum für diese überschaubare Abordnung so viele Münzen gebraucht wurden. Die Frage aufzuwerfen, ob die Münzen überhaupt im Verlauf eines Feldzuges bei Kalkriese in den Boden gelangten und nicht unter anderen Bedingungen halte ich für berechtigt und komme noch darauf zurück. In den Wäldern und Sümpfen Germaniens brauchten Legionäre kein Geld und verlorene Wetten oder Niederlagen beim Würfelspiel mussten auch nicht sofort mit barer Münze beglichen werden, wenn man denn überhaupt um Geld spielte. Ebenso hatten Münzen als Währung in Germanien wenig Bedeutung. So ist es fraglich, ob jeder Legionär grundsätzlich Münzen in ein Kampfgebiet mit genommen hätte und man sie nicht in den sicheren Kastellen zurück ließ. Woher der Begriff Legionärsgeld stammt konnte ich noch nicht heraus finden. Ob das Wort berechtigt anzunehmen, alle Legionäre hätten Geld auf einem Feldzug mit geführt ist denkbar, wird angenommen, ist aber nicht gesichert. Feldzüge in Germanien waren zeitlich befristet. Nach der Schneeschmelze im Frühjahr brach man auf und mit Herbstbeginn sollte der Feldzug abgeschlossen sein. Dieses Ablaufschema vermissen wir jedoch bei den Germanicus Feldzügen. Germanicus startete Feldzüge spät im Jahr ( 14 +) oder brach Feldzüge vorzeitig ab (15 + und 16 +). Man zog dann befristet in die Rheinkastelle ein um dann aber im gleichen Jahr erneut in Germanien einzugreifen. Man konnte also den Soldzahlungen fristgerecht nach kommen bzw. die Legionäre konnten sich eindecken um damit die notwendigen Dinge zu regeln. Den Sold bezahlte der Kommandant nach der Schlacht an die Rückkehrer besser gesagt an die Überlebenden aus. Wer im Feld blieb, der ging zwangsläufig leer aus, denn nach einer Schlacht, ob gewonnen oder verloren ließ sich sicherlich makabrerweise einiges davon einsparen. Familienangehörige sind bei Legionären nicht zu erwarten. Wofür brauchten Legionäre während ihrer Feldzüge also größere Geldbeträge. Vor einem Feldzug ausgezahlter Sold steigert zudem auch nicht unbedingt die Kampfbereitschaft. Die Erklärung für die gehäuften Münzfunde mit dem Mitführen der Truppenkasse zu begründen halte ich daher für eine nachrangige Erklärungsmöglichkeit. Sollte es sich um einen Versorgungszug gehandelt haben, der abgelegene römische Standorte mit Münzen zu versorgen gehabt hätte, stellt sich die Frage, welche römischen Truppen man denn mit Sold versorgen wollte, um dafür auf dem Weg zu ihnen die Engstelle am Kalkrieser Berg passieren zu müssen. Folglich eine Reihe von Argumenten die gegen eine Legionskasse sprechen. Aber woher kam das Geld und wofür brauchte man es. Kam es in dieser Häufung aus dem inneren Germaniens, dann war es auf dem Rückweg zum Rhein und man brauchte es in Germanien nicht mehr. Oder war es möglicherweise auf umgekehrten Weg vom Rhein ins innere Germaniens unterwegs und die Münzen stammten aus den Geldreserven der Kastelle am Rhein. Es bleibt festzuhalten, dass die enorme Menge an Münzen mehr Fragen aufwirft als sie Antworten gibt. (22.11.2019)

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