Donnerstag, 16. April 2020
Im palatinischen Kreuzverhör hatte sich Segestes in zweifacher Hinsicht zu rechtfertigen
Historische Forschung zu betreiben, ist ein steter Dreikampf zwischen dem inneren Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen auch Phantasie genannt, dem was wir schwarz auf weiß wissen, also den antiken Schriftzeugnissen und dem was sich den Bodenfunden entlocken lässt. Danach verselbstständigt, verstreut und verteilt sich alles über die zahlreichen Einzeldiszipline, findet wieder zusammen und endet im Raubtierkäfig von Interpretationen und Auslegungstheorien. Aber es gibt keine geschichtliche Aufarbeitung, ohne das man sich die vielen Rückblicke in die fließenden Geschehnisse davor ersparen könnte. Im imperialen Machtzentrum des Jahres 17 + bestimmte und entschied nur eine autoritäre Gestalt wie man mit Geiseln, Gefangenen und anderen Germanen verfuhr und das war Kaiser Tiberius. Segestes könnte er letztmalig gesehen haben, als er 4 + mit den Cheruskern den Bündnisvertrag schloss, oder 5 +, als er die Langobarden über die Elbe trieb. Das war zu den Zeiten als er noch selbst Feldherr war. Gehört haben könnte er allerdings von ihm noch im Herbst 9 + als er erfuhr, dass eben jene einst Bündnis treuen Cherusker, die er 5 Jahre zuvor mit Rom wieder zu versöhnen suchte nun drei römische Legionen vernichteten. Legionen die vermutlich auf seine Veranlassung hin weit von ihrer eigentlichen Sollstärke entfernt gewesen sein könnten, da er sie für seine Feldzüge gegen Marbod und danach in Pannonien dezimieren bzw. ausdünnen musste. Er wird sich nach dem er von der Niederlage im Saltus erfuhr, die ihn im Herbst 9 + noch in Dalmatien kurz vor der Einschiffung nach Italien erreichte, die Frage gestellt haben wie es denn 9 + zu der Schlacht kommen konnte. Wir stellen uns aber auch die Frage wie und wie schnell Tiberius die Nachricht aus Ostwestfalen noch in Dalmatien erreichen konnte. Man kann es sich damit beantworten, dass ein im Krieg stehender Feldherr wie Tiberius die Stafettennachricht auf parallelem Weg zum Kaiser in Rom erhalten haben dürfte und eine Stafette von Süddeutschland aus den Weg über die julischen Alpen nahm. Eine Schlacht mit der Tiberius selbst und niemand anderes im Imperium gerechnet hatte. Vor allem aber nicht mit dem Ausgang den sie nahm. Er erfuhr, dass sogar sein einstiger Mitkämpfer Arminius mit seinen cheruskischen Hilfskräften die er vermutlich erst jüngst nach dem Sieg über Pannonien in seine Stammesgebiete entließ, daran beteiligt gewesen sein soll. Er dürfte vor einem Rätsel gestanden haben wie es denn möglich sein kann, dass Germanen die noch kurz zuvor ihren Kopf für Rom hin hielten plötzlich gegen Rom zu den Waffen griffen. Er kannte Segimer, Segestes und auch Arminius und es beschäftigte ihn die Frage wer hinter dem Komplott stand. Arminius wird ihm Kopfzerbrechen bereitet haben. Sollte er ihn als einen aufrichtigen Mann erlebt haben, könnte er auch in Varus einen Mitschuldigen gesehen haben. Vielleicht nannte man Tiberius in Dalmatien auch nur den Namen Arminius weil sich beide kannten, ohne das ihnen seine genaue Bedeutung im Kampfgeschehen bewusst war. Da aber Arminius noch jung an Jahren war und zudem gerade erst in seine Heimat zurück gekehrt war, konnte sich Tiberius schlecht vorstellen, dass er schon eine Führungsrolle inne gehabt hatte. So konnte er möglicherweise die Schuldfrage nur auf Segimer und, oder Segestes konzentriert haben, die Varus in den Rücken fielen. Es ließ sich für ihn die Lage vor dem Ausbruch der Schlacht vermutlich nie richtig einschätzen bis Segestes erschien. Segimer fiel vermutlich in der Schlacht, Arminius wurde er nie habhaft, aber dann tauchte im Frühjahr 17 + plötzlich Segestes in Rom auf und konnte befragt werden. Wer wollte Tiberius verdenken, dass er sich nun Aufklärung über die Abläufe des Jahres 9 + erhoffte und darauf brannte wenn auch verspätet, dazu Erklärungen zu bekommen. Sicherlich schloss Tiberius nicht aus, dass damals auch Segestes die Fäden gegen Varus mit gezogen hatte, da er nach der Schlacht im Kreise der Cherusker noch lange ein respektierter Fürst blieb. Davon, dass Segestes den Feldherrn Varus gewarnt haben soll, konnte Tiberius noch nichts gewusst haben von wem auch, für ihn war und blieb Segestes als er in Rom eintraf zunächst einmal ein Verdächtiger wie alle anderen auch zumal seine Tochter mit Arminius liiert war. Er wartete nun mit Spannung darauf, was Segestes in Rom dazu vorzutragen hatte. Und nach alledem was wir heute glauben möchten, klang das was Segestes dem Kaiser und dem Senat mitteilte auch recht plausibel. Es waren inhaltlich jene Dinge aus denen wir seit Jahrhunderten unsere Schlussfolgerungen ziehen. Schlüsse, die unseren Glauben stärken, dass seine Rechtfertigungsversuche auch der Wahrheit entsprachen. Wie ich vermute aber Ausreden waren, um gefahrlos aus seinem Dilemma heraus zu kommen. Varus will er gewarnt haben und diese Warnungen soll er wie es heißt, sogar mehrfach vorgetragen haben. Und das möglicherweise auch im Beisein von Zeugen im Zelt von Varus was sich aber nicht klar aus den antiken Quellen erschließen lässt. Denn bei der einfachen Durchlese kann man nur zu dem Schluss gelangen, dass Segestes am Vorabend der Schlacht die Warnung Varus gegenüber ohne Zeugen aussprach. Tacitus schreibt in seinem Jahrbuch 1,55 (2) - nach dem „man“ an die Waffen ging -. Und „man“ ist vielfach interpretierbar. Möchte man es aber anders sehen, könnte man diesen Hergang also die Aussagen des Segestes in Rom bekanntlich auch in Gänze in Frage stellen und darin einen Stoff sehen, der auch in einen „historischen“ Justizirrtum gemündet sein konnte. Denn alles klingt eigentlich schon wieder zu einleuchtend und erscheint somit simpel und plausibel zugleich. Aus Bequemlichkeit und mangels anderer Gedankenketten verfestigte sich das Gesagte von Segestes erstaunlich leichtgläubig in den Geschichtsbüchern. Wie war es also damals nochmal. Varus wischte die ausgesprochene Warnung von Segestes, möglicherweise waren es auch mehrere vom Tisch, gerade weil Varus ihn gut kannte. Er wusste, dass Segestes persönliche Interessen verfolgte und dazu gehörte sein Wissen darüber, dass Segestes die Macht über alle Cherusker anstrebte und mithilfe Roms ausüben wollte. Dem ungestümen Segestes entging aber dummerweise, dass Varus seine wahren Absichten und Hintergedanken längst durchschaut hatte. Segestes indes verfolgte seinen Plan unbeirrt weiter. Er erkannte die einmalige Chance, Varus jetzt seine Loyalität zu beweisen, in dem er ihm gegenüber seine Widersacher an den Pranger stellte und ihr Vorhaben verriet. Jeder denunzierte damals jeden und nun war er am Zug und erhoffte sich daraus eigene Vorteile ziehen zu können. Varus schmunzelte, denn ihm waren diese Methoden nicht neu, er erkannte sein Vorhaben im Ansatz, ging nicht darauf ein und ließ Segestes konsterniert ins Leere laufen. Segestes war perplex hatte er sich doch so viel Mühe gegeben überzeugend zu wirken und fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Er konnte es nicht fassen denn er hatte mit der Reaktion, dass Varus ihn nicht ernst nehmen würde nicht gerechnet. Wenn es denn tatsächlich so war, müsste er es wie einen Tiefschlag gegen seine Fürstenwürde empfunden haben. Segestes der Varus sogar noch am Vorabend der Schlacht gewarnt haben soll blieb nach dieser leidigen Erfahrung nun nicht mehr viel Zeit. Er musste handeln und sich um orientieren, denn tagsdarauf war schon der Ausmarsch nach Anreppen geplant. Von seinen an Varus ergangenen Warnungen hätten, wenn es sie denn gegeben hätte auch die Arminen erfahren. Nun wissen wir anhand der Überlieferung, dass sich Segestes wie auch immer es sich zugetragen haben sollte, sich in die Schlacht mit hinein ziehen ließ. Er vollzog also einen sofortigen, schon fasst revolutionär zu nennenden Kurswechsel und wurde sozusagen „über Nacht“ vom Verräter am eigenen Volk, zum Kämpfer für die heilige Sache des Arminius. Man kann es kaum glauben. Arminius wusste vom Verrat und spielte trotzdem sein Spiel mit, nahm in also wieder vollwertig in seine Reihen auf, und wies seiner Sippe möglicherweise sogar eine Kampfposition zu. Spätestens jetzt und an dieser Stelle sollte man merken, dass es so nicht gewesen sein konnte. Denn einen Verräter behandelt man nach seinem Verrat nicht wie einen zuverlässigen Kriegskameraden mit dem man Seite an Seite kämpfen wollte und bindet ihn auch nicht mehr vertrauensvoll in ein heikles Kampfgeschehen ein, so als wäre all dem nichts voraus gegangen. Nicht auszuschließen, dass sich Segestes mit seinen Getreuen in einem denkbar ungünstigsten Zeitpunkt mitten im Schlachtengetümmel urplötzlich auf die Seite von Varus hätte schlagen können, womit das ganze Unternehmen gefährdet worden wäre. So kann es also definitiv nicht gewesen sein. Möglicherweise war es sogar noch Arminius selbst, der Segestes vor der Schlacht unter Bewachung stellte und ausmanövrierte, damit er ihm nicht gefährlich werden konnte. Aber Arminius gewann bekanntlich die Schlacht, sozusagen trotzdem oder gerade deswegen. Denn es gab keinen Verrat und Segestes ließ sich daher auch nichts zu Schulden kommen. Aber lässt sich denn so unkompliziert ein Bild von einer historischen Episode zu malen, die über 2000 Jahre zurück liegt. Denn steigt man etwas hinunter in die historischen Untiefen, wird man doch schnell skeptisch. Was wenn Varus im umgekehrten Fall doch noch in der Nacht oder am Ausmarschtag das Gefühl beschlichen hätte, Segestes könne recht gehabt haben. Vielleicht hatte er einen bösen Traum oder es überkam ihn eine übersinnliche Vision, sah vielleicht im Sonnenuntergang zwei Eulen die miteinander kämpften oder dergleichen. Plötzlich und noch rechtzeitig vielleicht auch nach dem er sich mit seinen Generälen beraten hatte erkannte er dann tief in der Nacht, nachdem Segestes ging doch noch in Arminius den wahren Feind. So ließ Varus ihn anderntags geschickterweise noch lange in dem Glauben in ihm immer noch den Freund zu sehen. Aber nun endete die Varuschlacht dank einer geänderten Strategie in einem glücklichen Sieg für Rom also zu Varus Gunsten. Das alles hätte passieren können. Aber ließ es denn Arminius vor dem Hintergrund dieses Verrats und der möglicherweise von ihm ausgehenden Gefahr zu, einen Verräter wie Segestes ernsthaft in seinen Reihen zu dulden. Lässt man solch einen Mann nach einem derartigen Verrat laufen, nur weil Varus ihm keinen Glauben geschenkt hatte. Dann hätte Arminius allerdings schon 9 + alle Gründe der Welt gehabt um Segestes in seiner Burg zu belagern und nicht erst im Frühjahr 15 +. Der Gesamtstamm der Cherusker wäre mit einem Stammesabtrünnigen zu damaligen Zeiten anders umgesprungen. Und was hätte Varus nach seinen nächtlichen Eingebungen getan. Er hätte also seine Pläne geändert, die Schlacht für sich entschieden, wäre anschließend siegreich in sein Sommerlager zurück gekehrt, hätte sich bei Segestes entschuldigt und Arminius und Segimer gekreuzigt oder enthauptet. Aber die Geschichte mischte die Karten anders. Segestes hatte Arminius nicht verraten musste sich aber eine überzeugende Darstellung einfallen lassen. Und so wird Segestes sechs Jahre später in der Metropole Rom auch mit so manchem gerechnet haben, was diese alten Dinge anbelangte für die es erfreulicherweise aus seiner Sicht betrachtet keine Zeugen mehr gab, die es hätten anders darstellen können. Er hatte freie Hand und nutzte es. Es wird ihm vorher klar gewesen sein, dass alles was er sagte wohl begründet sein wollte. Warum damals also seine Warnungen an Varus ins Leere gingen und nicht fruchteten. Nicht fruchten konnten, weil es sie meines Erachtens auch gar nicht gab. Aber das ist nun eine andere Geschichte sozusagen das Vorspiel für die nächsten Überlegungen. Denn möglicherweise interessierte sich der Kaiser, der Senat und die hohen Staatsbeamten im Jahr 17 + nicht nur dafür was der loyale und romtreue Segestes damals 9 + im Sinne Roms tat, um die Schlacht abzuwenden also zu verhindern, sondern man wollte auch wissen, was bei Segestes im Frühjahr 15 + den plötzlichen Sinneswandel bewirkt haben könnte, ins römische Lager überzuwechseln. Eine Kehrtwende die für ihn zu einem Abschied für immer werden sollte. Das Verlassen der angestammten Heimat seiner Väter, die wie anzunehmen ist, seine Sippe seit gefühlten Urzeiten beherrscht hatte. Damals im Jahre 9 + lagen die Dinge noch anders, da waren alle Cherusker und die übrigen Stämme einig im Kampf gegen Rom und es wurden einhellig die Waffen gespitzt. Ein Segestes wäre in dieser aufgeheizten Stimmung nicht weit gekommen, hätte er sich für alle sichtbar auf die Gegenseite gestellt. Ungeachtet dessen könnte er natürlich zu der Fraktion gezählt haben, die sich auf Dauer erhofften mithilfe Roms und an deren Seite in Ostwestfalen und Südniedersachsen an die Spitze der Stämme zu gelangen. Aber im Jahre 9 + gehörte er einer Minderheit an, die sich zurück zu halten und sich unterzuordnen hatte. Aber im Jahre 15 + war die Welt nicht mehr die alte und Segestes träumte seinen sechs Jahre alten Traum von neuem und spielte wieder mit dem Gedanken Macht ausüben zu können. So kann man sich vorstellen, dass er 15 + insgeheim auf eine furiose Rückkehr setzte, wenn Rom die Arminen geschlagen hatte. Doch diese Gedanken konnte und durfte Segestes in Rom nicht preis geben, denn dann hätte man ihn als einen Schmarotzer oder Parasiten entlarvt, der aus Rom einen Steigbügelhalter persönlicher Interessen machen wollte. So musste er sich schwer ins Zeug legen und plausibel darlegen warum er sich entschieden hatte, sich von seinem Volk zu trennen, ihm den Rücken zu kehren und sich fortan dem Imperium anzuvertrauen. Auf Germanicus konnte er in diesem Moment nicht zählen. Germanicus könnte zwar 15 + die gleiche Strategie verfolgt haben, nämlich Segestes nach einem umfassenden Sieg als cheruskisches Stammesoberhaupt zu inthronisieren. Da aber Germanicus dieser entscheidende Endsieg versagt blieb, wäre es müßig gewesen in Rom noch mal die alten Überlegungen und Wunschträume neu zu debattieren, nach dem Motto „was wäre wenn“. Meine Überlegungen tendieren bekanntermaßen dahin über die Person des Segestes Gründe und Ursachen zu finden mit denen sich erklären ließe, warum Varus seinerzeit so arglos in die Falle tappte. Folglich Segestes als unsicheren Kantonisten zu überführen, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben und ihn mit nachvollziehbaren Indizien zu entlarven. Ihn sozusagen vom Sockel einer Geschichtsauffassung zu stoßen die demnach immer schon auf porösem Untergrund gestanden haben könnte. Eine sich über die Jahrhunderte verselbstständigende Vision, die sich in unsere Vorstellungen und Köpfe eingeschlichen und eingenistet hat, bis sie scheinbar auf ewige Zeiten zu einer festen Größe wurde. Dieser Hypothese entnehme ich die Substanz für meine Theorie und sie bildet sozusagen eines von mehreren Fundamenten die ich mit als Argument für die römische Niederlage im Jahre 9 + aufbauen möchte. Denn nicht nur die Frage wo sich die Varusschlacht dahin zog steht im Zenit aller Betrachtungen, sondern auch die Frage, warum Varus sie verlor. Eines spielt ins andere und hat man die Erklärung für das eine, kann auch das andere nicht weit sein. Eine These die zum Programm wird und neue Kombinationen, Herangehensweisen und Gedankenspiele erfordert. Zu einem wesentlichen Bestandteil meiner historischen Recherche gehört daher das Aufspüren scheinbar unwesentlicher Bausteine und bislang möglicherweise auch fehl gedeuteter Zusammenhänge bis hinunter zum kleinsten Bruchstück innerhalb eines Satzgefüges. Ausgehend von der Überzeugung, dass die antiken Überlieferungen keine leeren Worthülsen kennen, kann uns jedes einzelne hinterlassene Schriftrelikt neue Erklärungen anbieten über die bisher noch kein Historiker gestolpert ist. Ihnen nachzugehen um ihnen einen anderen Sinn, veränderte Bedeutungen und neue Hintergründe zu entlocken die man trotz intensiver Forschung in den Jahren übersehen haben könnte, soll dem Ziel dienen heraus zu finden wie sich die Clades Variana vollzogen haben könnte. Nur auf Basis dieser Vorgehensweise war es mir auch erst möglich den Kampfkorridor der Varusschlacht in groben Zügen ausgehend von Höxter bis in die Region um Kleinenberg zu definieren. Und hinter so manchen historischen Randbemerkungen, die uns vorkommen als hätte man sie nur beiläufig erwähnt, könnten sich eigenständige Geschehnisse und Prozesse verborgen haben, die sich oftmals erst auf den zweiten Blick erschließen lassen. Trotz seiner kargen Mitteilsamkeit hat uns Strabo wie man auch dem letzten Kapitel entnehmen kann eine ungeahnte Fülle an interpretationswürdigem Stoff hinterlassen. Bemerkungen die aufgrund diverser Übersetzungstücken und wechselnder zeitgeistiger Strömungen nach Jahrtausenden viel an einstiger Sinngebung eingebüßt haben. So ist es immer wieder lohnend sie neu zu bewerten. Zumal sich zwischen Mund – und Schriftsprache Welten auftun, denn die Schrift muss ohne die wichtige Körpersprache, also Gestik und Mimik auskommen. Da wir aber vor diesem Teil der alten Geschichte mit nahezu leeren Händen da stehen, von Bodenfunden einmal abgesehen, bleiben uns nur die wenigen vergilbten Schriften die man in den letzten fünfhundert Jahren in alten Bibliotheken entdeckte gar entwendete, oder die sich auf abgegriffenen Buchrücken aufspüren ließen um dann entziffert zu werden. An uns bleibt es nun die literarischen Trümmer längst verstorbener Geschichtsschreiber von einer alten Staubschicht zu befreien, die sich über sie ausgebreitet hat. Es ist aber nicht der Staub der Vergänglichkeit. Sondern eine Kruste die sich über den alten Originalen gebildet hat und die aus früheren Interpretationen und daher möglicherweise überholten Erkenntnissen besteht. Aber am darunter liegenden Kern hat sich nichts verändert, die ursprüngliche Bedeutung blieb unberührt, ging nie verloren und der Zeitgeist hat sie verschont. So kann es passieren, dass sich nach dem Entfernen dieser von zahlreichen Interpreten hinterlassenen Staubschicht unvermittelt neue Türen aufstoßen lassen. Denn Strabo schrieb für die Nachwelt nicht nur einige Namen von Teilnehmern des Triumphzuges auf, verriet uns nicht nur den genauen Tag an dem er statt fand und nannte auch nicht nur das Alter von Thumelicus. Er griff noch zwei weitere Jahre zurück und deutete Dinge an, die sich vor dem Triumphzug im Jahre 15 + möglicherweise im waldreichen Solling zutrugen. Eine Zeit, als sich Segestes noch auf seinem Fürstensitz, den ich südlich von Einbeck nahe der Leine vermute, in Sicherheit wähnte. Eine Phase in der die Lage aber langsam ernst wurde und Segestes sich Sorgen um seine Zukunft machen musste. Und alles spitzte sich sogar noch zu, denn der römische Feind kam schon im zweiten Jahr seiner Rachefeldzüge seinem Machtbereich gefährlich nahe. Germanicus hatte es auf alle abgesehen, die damals an der Varusniederlage beteiligt waren, war er im Jahr 14 + bereits „völkerbundwidrig“ über die Marser hergefallen, so wollte er im Jahre 15 + weitere Siege feiern. Segestes musste befürchten, dass auch er seine Rache zu spüren bekommen würde. Denn man nötigte auch ihn seinerzeit an der Schlacht gegen Varus teilzunehmen, wie er es Kleinlaut in Rom eingestehen musste. Die Gefahr in Gestalt von Germanicus und seinem großen Heer rückte näher und es müssen für Segestes schwierige Tage gewesen sein. Aber im Frühjahr 15 + hatte er noch die Wahl und konnte entscheiden, ob er sich nach sechs Jahren wieder der Arminiusallianz des Jahres 9 + anschließen bzw. unterordnen wollte. Somit allerdings Gefahr laufen würde, alles zu verlieren, oder ob er noch rechtzeitig die Fronten wechseln und zum Überläufer in ein augenscheinlich stärkeres Lager werden sollte. Gegen das römische Imperium anzutreten, dass in dieser Zeit für alle Germanen unbezwingbar zu sein schien, hätte in ein aussichtsloses Unterfangen münden können. Seine Handlungsweise wollte also gut abgewogen sein. Es brodelte in diesen Jahren heftig auf germanischer Seite, denn man wusste zwischen Rhein und Elbe was die Stunde geschlagen hatte. Das Ziel der römischen Truppenkonzentration zeigte eindeutig ins Kerngebiet der Cherusker wo Arminius lebte. Arminius wusste was auf ihn zukommen würde, er brauchte starke und vor allem verlässliche Partner, wird an neuen Bündnissen geschmiedet haben und immer war seine Präsenz in der gefährdeten Region am Weserübergang nahe Godelheim erforderlich. Das einstige Zentrum varianischer Provinzialisierungsträume. Auch mit Segestes, wollte man ihn denn wenn möglich wieder in die germanische Phalanx mit einbinden wird er im Gespräch gestanden haben bzw. es gesucht haben. Segestes ging vermutlich auf Distanz zu ihm und dürfte sich mit seiner Sippe beraten haben um mit ihr die Alternativen zu diskutieren. Möglicherweise hatten sie sich in diesen Tagen alle in seinem Fürstensitz versammelt. Im Frühjahr 15 + überschlugen sich dann die Ereignisse. Caecina hielt die Marser mit Gewalt in Schach. Germanicus operierte besser gesagt wütete, wenn auch relativ erfolglos im Zentrum der Chatten nördlich der Eder vermutlich in der Region um den Gudes - und Odenberg im Raum Metze. Eine Landschaft in der man auch den chattischen Hauptort Mattium vermutet, den er nieder brannte. Und nur etwa 7o Kilometer nördlich dieses chattischen Fürstensitzes vermute ich im Einbecker Ortsteil Vogelbeck auch die Burg des Segestes. Somit standen alle Schauplätze im Frühjahr 15 + in räumlicher Nähe zueinander, was diese Großregion kurzzeitig zum Brennpunkt der römisch/germanischen Auseinandersetzung aber auch zum „Hot Spot antiker Bewegungsprofil Forschung“ machte. Für Segestes stand nun einiges auf des Messers Schneide und das Haus Segestes sah sich gezwungen sich nun festlegen zu müssen. Entweder einen schier aussichtslosen Kampf als untergeordneter Juniorpartner des großen Arminius gegen eine Weltmacht noch dazu mit einer hochschwangeren Thusnelda auf sich zu nehmen, oder sich auf eine vielleicht nur begrenzte Zeit ins römische Exil zu begeben um auf bessere Tage zu hoffen, wenn Arminius von Germanicus zur Aufgabe gezwungen worden wäre. Strabo beschrieb das Dilemma in dem Segestes steckte in seinen Aufzeichnungen im Rahmen des Triumphzugs nur mit sehr knappen Worten. Sie klingen danach, als ob Segestes seinem inneren Ruf folgte, was man allgemein als eine günstige Fügung des Schicksals ansah. Sie bestand darin, das Germanicus kurzzeitig in Tuchfühlung zu ihm stand. Segestes nutzte also die Gunst der Stunde, eben diese Nähe aus, die wohl auch so schnell nicht wieder kommen würde. Denn um diese Zeit war für ihn noch nichts verloren, es war noch kein Blut zwischen ihm und Germanicus geflossen und die Stimmung noch nicht vergiftet. Germanicus war um diese Zeit unterwegs aus der Region um Metze kommend, um sich in eines seiner Standlager am Niederrhein zurück zu ziehen, da er im Jahr 15 + den Frontalangriff auf Arminius noch vermeiden wollte oder musste. Aber die Faktenlage aus germanischer Sicht stellte sich damals anders dar, sie sprach dafür, dass Segestes aber auch Arminius davon ausgehen mussten dass Germanicus nach der „glücklichen“ Schlacht unter Caecina gegen die Marser im Frühjahr 15 + schon im Sommer des gleichen Jahres seine Legionen auch gegen Arminius lenken würde, so dass die Zeit drängte. Und so geschah es bekanntlich auch, denn im Sommer kehrte Germanicus mit starker Streitmacht zurück und es kam zu einem für Germanicus allerdings unrühmlich endenden ersten Schlachtengeplänkel an der Weser. Das baldige Ausbrechen von Kämpfen gegen die Cherusker in die Segestes unweigerlich mit hineingezogen worden wäre stand kurz bevor, wäre also in der Konsequenz nur eine Frage weniger Wochen gewesen. Es war also für Segestes der richtige Zeitpunkt gekommen, den Absprung zu wagen. Man kann es ihm mit einem Seitenblick auf seine Tochter sogar noch nicht einmal verdenken, dass er sich in dieser Lage für den Frontenwechsel entschieden hat, denn alles sprach gegen Germanien. Als Strabo seins berichtete und den günstigen Umstand erwähnte in dem sich Segestes wähnte, wusste Strabo noch nichts vom genauen Inhalt dessen, was Segestes darüber gegenüber dem hohen Hause im Jahre 17 + zu Protokoll und zur Rechtfertigung vorgab. Für Strabo fügte es sich alles gut und auch plausibel in die Geschehnisse ein, so wie man es sich in den Straßen von Rom erzählte und darüber hinaus waren ihm keine weiteren Details über die damaligen Umstände die im Jahre 15 + zum Segestes Übertritt führten bekannt. (16.04.2020)

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