Freitag, 8. Mai 2020
Aus dem Jahrbuch des P.C.Tacitus Kapitel 1.58 (1–4) Die denkwürdige Segestes Reputationrede
Tacitus verdanken wir die Existenz der „Segestes Rede“ die sich dank glücklicher Umstände bis heute erhielt. Reputations- oder Verteidigungsrede trifft es jedoch besser, da er damit vor allem sich selbst frei sprechen wollte und vielen anderen gerecht werden musste. Man kann sie sicherlich als ein Original, also als ein unverfälschtes Dokument ansprechen. Um nun schlussfolgernde Forschungen zu betreiben und geeignete Analyse Methodik darauf aufbauend anzuwenden ist dieser Urtext unverzichtbar und gehört daher an den Anfang der inhaltlichen Auseinandersetzung. Denn mit seiner Rede lässt sich sowohl seine Glaubwürdigkeit in Bezug auf das Jahr 15 + ausloten als auch die Vorgeschichte zur Varusschlacht rekonstruieren. Man muss sie daher im weiteren Verlauf diversen Betrachtungen unterziehen. Segestes hat in seine Rede einen Überschwang an zeithistorisch bedeutsamen Elementen eingebaut, was aus ihr ein literarisches Kernelement der germanistischen Forschung macht. Das Internet Portal zur westfälischen Geschichte bietet uns auf Basis des Tacitus Jahrbuches Nr. 1.58 (1-4) dieses Original in Form einer guten Übersetzung in deutscher Sprache an. Obwohl es sicherlich auch noch andere aus fachlicher Sicht bzw. übersetzungstechnisch einwandfreie Auslegungen aus der Epoche der „Silbernen Latinität“ gibt, bevorzuge ich hier aus nahe liegenden Gründen die Quelle des LWL - Instituts für westfälische Regionalgeschichte in Münster. Die Wiedergabe gliedert sich in vier Blöcke. Zum Beginn steht die unveränderte Darstellung jeweils eines der vier Abschnitte aus dem Jahrbuch 1.58, so wie es der vorgenannten Übersetzung entspricht. Danach folgt eine vereinfachte Zusammenfassung. Eine Analyse in der versucht werden soll, den Inhalt seiner Ansprache in ein verständiges Licht zu rücken, man entnimmt unbedeutende oder überzogene Passagen oder Worte, gliedert nötigenfalls Gesagtes aus, um oder ergänzt es, so verschärft sich der Blick mehr auf das Wesentliche, nämlich seine Worte die er für seine Reputation wählte und hinter denen sich Einseitigkeit und Täuschung vermuten lassen. Man gelangt so zu einem veränderten aber flüssigeren Textaufbau, der die Lesbarkeit etwas verbessern hilft. Als Fazit folgt dann eine erste Interpretation. Erst im darauf folgenden Abschnitt unter dem Titel: „Segestes und die wichtigste Ansprache seines Lebens - Tacitus zitierte sie in der Annahme er hielt sie im Jahre 15 + vor Germanicus“ möchte ich mich noch mal im Detail mit ihr auseinander setzen. Denn auch hier will ich meiner Vorgehensweise treu bleiben und den Blick möglichst auf alle Facetten seiner Äußerungen werfen.

Original Übersetzung zu 1.58. (l)

Dieses ist nicht mein erster Tag der Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk. Seit mich der göttliche Augustus mit dem Bürgerrecht beschenkt hat, habe ich Freunde und Feinde nach euren Interessen ausgewählt, nicht aus Hass gegen mein Vaterland - sind doch Verräter selbst denen verhasst, denen sie den Vorzug geben -, sondern weil ich überzeugt war, dass Römer und Germanen dasselbe (Ziel) zusammenführt, nämlich eher Frieden als Krieg.

Zusammenfassung zu 1.58. (l)

Er betont seine Treue und Standhaftigkeit gegenüber dem römischen Volk und brachte damit zum Ausdruck, dass er dies praktizierte seit dem ihm Kaiser Augustus das römische Bürgerrecht verlieh. Die Auswahl seiner Freunde und Feinde hatte er immer den Interessen Roms untergeordnet. Der Feind Roms war also auch immer sein Feind und so galt es auch für seine Freunde. Anders ausgedrückt. Wer ein Feind Roms war, der konnte nie sein Freund sein. Und dies tat er nicht weil er sein Vaterland hasste, sondern weil er immer die Auffassung vertrat, dass man nur im Frieden zusammen finden kann, aber nicht im Krieg. Mithilfe eines eingeschobenen Satzteiles vertrat er die Auffassung, dass Menschen die zu Verrätern werden, sogar bei denen verhasst sind, zu deren Gunsten sie ihren Verrat begehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (l)

Seinen Hinweis auf die Standhaftigkeit kann man sicherlich überspringen, aber wie verhält es sich mit der besonders von ihm heraus gestellten Treue gegenüber Rom nach dem ihm Kaiser Augustus die Staatsbürgerschaft verlieh, seit wann fühlte er sich an sie gebunden und was verstand er unter Treue. Im Jahre 4 + schloss Tiberius den Vertrag zwischen Cheruskern und Römern und damit verbunden könnte ihm die Ehrung des Kaisers aus den Händen von Tiberius symbolisch überreicht worden sein. Segestes fungierte sicherlich nicht als eine frühe Form des Doppelagenten, war aber ab diesem Tag offenkundig für alle Germanen der Region ein Römerfreund. Aber möglicherweise trug man seinerzeit auch Segimer das römische Bürgerrecht an, nur das dies an keiner Stelle Erwähnung findet. So konnte Segestes im Jahr 17 + bereits auf dreizehn Jahre Freundschaft zurück blicken, in der er sich indirekt dem Imperium gegenüber verpflichtet sah. Eine treue Freundschaft zu Rom zu pflegen konnte zwar für ihn nützlich sein, umfasste aber nicht automatisch auch einen Verrat am eigenen Volk aber irgendwann könnte Rom diese Treue auch mal eingefordert haben. Denn was tat Segestes in der langen Zeit konkret, um sich Rom gegenüber als ein würdiger Freund oder Partner zu erweisen, wenn es ihm nicht einmal gelang die elementare Varusschlacht im Sinne Roms zu beeinflussen. War das Bürgerrecht nur Makulatur oder worin lag der Wert dieses Mannes für Rom, wenn er in diesem alles entscheidenden Moment versagte. Man konnte ihm vorwerfen, er hätte, ja müsste viel früher von der kritischen Stimmung unter den Cheruskern Kenntnis gehabt haben und hätte auf geeignete Weise tätig werden können ja sogar müssen. Doch an wen dachte Segestes, oder wen meinte er, als er von einem Verräter sprach. Das klare Wort Verrat vermied er, bzw. umschrieb es geschickt, da es eine ungute Wirkung erzielen würde. Es ist sicherlich offensichtlich, denn seinen Gegenspieler Arminius konnte er nicht gemeint haben, er war bei seinem Stamm nicht verhasst und ihm hatte sein Volk bekanntermaßen auch den Vorzug gegeben, sie in den Krieg zu führen. Und er verriet auch nicht sein Vaterland, denn die Cherusker standen geschlossen hinter ihm. Also konnte Segestes nur sich selbst des Verrats am eigenen Volk bezichtigt haben. Seine Darstellung läuft auf die Weisheit hinaus, dass die Macht zwar den Verrat liebt, aber nie den Verräter selbst. Segestes machte damit deutlich, dass er jener war, der für seine Treue zu Rom zum Verräter wurde, sich damit aber auch gleichzeitig selbst verhasst machte, obwohl man seinen Verrat wertschätzte. Er muss sich also in dem Augenblick des Verhörs bewusst gewesen sein, dass man in ihm in Rom mehr den Verräter am eigenen Volk sah, als das er als Freund Roms wahr genommen wurde. Aber sein Verrat den er vor gab 9 + begangen zu haben, lag nun acht Jahre zurück und besaß 17 + nach dem was sich seit dem ereignet hatte, keine Relevanz mehr. Viel mehr war es ihm jetzt nur noch wichtig gegenüber dem Tribunal deutlich zu machen, dass er als Römerfreund betrachtet werden und sich als solcher ausweisen wollte und was nun mehr wiegen sollte, als sein lange zurück liegender Verrat am eigenen Volk. Der vorgegebene Verrat war demnach seine elementare Rechtfertigung und der wesentliche Inhalt seiner Strategie. So tischte er in Rom aus Gründen des Selbstschutzes diese Ausrede auf und verkaufte sie als glaubhafte Version. Da er sich aber als Verräter unbeliebt gemacht hatte, führte dies dazu, dass er sich, was schon an Kuriosität grenzt, nun sogar für diesen nie begangenen Verrat zu rechtfertigen und zu verteidigen hatte. Seine Begründung für den Verrat lag darin, dass er es für die römisch germanische Freundschaft tun musste die er für höher wertig hielt. Warme Worte die ins Ziel trafen. Aber damit nicht genug, denn es folgt im weiteren Verlauf noch eine weitere und völlig andere Interpretation zum möglichen Ablauf der Unterredung, die ein gänzlich anderes Licht auf diesen Tag im Parloir des Palatin wirft.

Original Übersetzung zu 1.58.(2) 

Also habe ich den Räuber meiner Tochter, Arminius, der das Bündnis mit euch brach, bei Varus, der seinerzeit das Heer führte, angeklagt. Als ich dank der Trägheit des Feldherrn vertröstet wurde, drängte ich ihn, weil Gesetze zu wenig Schutz boten, dass er mich, Arminius und die Mitwisser verhafte: Jene Nacht ist Zeuge, wäre sie doch meine letzte gewesen.

Zusammenfassung zu 1.58. (2)

Arminius, der das Bündnis mit Rom brach, habe ich bei Varus angeklagt. Aber wegen seiner Trägheit wurde ich von ihm vertröstet. So musste ich auf ihn eindringen, damit er tätig würde. Denn das römische Gesetz allein bot in diesen Zeiten zu wenig Schutz um der Gefahr zu begegnen. Ich forderte ihn auf, dass er mich, Arminius und die anderen Mitwisser verhaften müsse um Schlimmeres zu verhindern. Die Nacht ist dafür mein Zeuge, wäre es doch meine letzte Nacht gewesen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (2)

Nein, dieser heroische Urtext entstammt nicht den Wagner Festspielen in Bayreuth, obwohl er sich verdächtig danach anhört, sondern der Feder von Tacitus, der ihn abschrieb. Aber sicherlich kann sich niemand der Faszination dieser angeblich von Segestes mit viel Tiefsinnigkeit, Theatralik und Pathos vorgetragenen Rede entziehen. Wenn es denn so war, so kann man sich förmlich in die Lage der Teilnehmer des Tribunals hinein versetzen, die sich beim Anhören dieser hoch gesteckten Worte aus dem Munde eines „Barbaren“ gegenseitig fragend in die Augen sahen und sich diese vor Ungläubigkeit rieben. Denn sie müssen auch damals schon gekünstelt und wie auswendig gelernt geklungen haben. Da sie dem aber nichts entgegen halten konnten, nahmen sie es zur Kenntnis und brachten es so wie von Segestes ausgesprochen zu Papier und übergaben seine Aussage dem Kaiser oder seinen Vasallen zur Gegenlese und ggf. auch zur Revision. Aber dieser Abschnitt 1.58 (2) beinhaltet im Kern eine Prise Sprengstoff zumindest aber im Wesentlichen das, was wir wissen müssen, um die diplomatische Vorgeschichte zur Varusschlacht etwas zu verstehen. Tacitus lässt kaum was aus und bietet uns damit einen scheinbar reibungslosen Erklärungsverlauf über das was Segestes tat und was ihn damals bewog sich so zu verhalten bzw. es begründete. Aber die Darstellung ist einseitig, denn es ist eben nur die Segestes Seite der Medaille. Die Arminius Variante können wir nur den Puzzleteilen aus Fakten und Resultaten entnehmen. Arminius war also der Brecher des römischen Vertrages aus dem Jahre 4 +. Segestes soll demnach Varus den bevor stehenden Vertragsbruch, also das bis dato erst noch im Keim steckende, aufrührerische Ansinnen des Arminius mitgeteilt, auf gut deutsch verraten haben. Das Varus ihn nicht ernst nahm führte Segestes auf seine Trägheit zurück, womit er vorsichtig dessen geistige Unbeweglichkeit andeutete. Ebenfalls ein Charakterzug von dem jeder Römer der Varus kannte wusste, der also kein Geheimnis war. Segestes wiederholte also bewusst allgemein Bekanntes und konnte sich daher der Akzeptanz seiner Worte sicher sein. Varus reagierte nicht auf seine Warnungen und hielt ihn hin, was auch noch gut zu seinem Genre passte und womit Segestes die Untätigkeit von Varus zum Ausdruck brachte, was dann bei der Jury ebenfalls auf allgemeines Verständnis stieß. Denn auch diese Worte klangen nachvollziehbar. In Rom musste man annehmen, dass nun wertvolle Zeit verloren ging, was den kritischen Schlachtausgang begünstigte. Im weiteren Verlauf gab Segestes vor, nun eindringlicher geworden zu sein bzw. werden zu müssen, damit Varus nun endlich etwas unternehmen sollte. Man lies es zu, dass aus dem einst angesehenen Legaten Varus ein Mann gemacht wurde, den nun sogar schon ein Barbar unter Druck setzen konnte. Für die Senatsbeamten in Rom aus dem Munde von Segestes eigentlich eine nicht akzeptable Demütigung, die man aber durch gehen ließ, da Varus nach allgemeiner Auffassung schon länger als Versager gehandelt wurde. Immer unter der Prämisse betrachtet, dass es so war. Eben ein ausgezeichneter Schachzug von Segestes, womit sich die gefährliche Zuspitzung glaubhaft machen ließ. Segestes hatte den Überblick, denn er erkannte, dass allein die römischen Gesetze in Germanien nicht ausreichten um damit seine Landsleute vom Kampf abzuhalten. Es ging also nicht ohne Anwendung römischer Gewalt. Segestes schlug ihm vor, Varus solle nun die gesamte cheruskische Führungsriege einschließlich seiner Person in Gewahrsam nehmen um den Aufstand im Keim zu ersticken. Das er sich dabei selbst mit einbeziehen wollte spricht für seine durchdachte Argumentation. Denn in Rom sollte man davon ausgehen, dass er den Verrat hinter dem Rücken von Arminius betrieb und dazu war unbedingt seine Mitverhaftung vonnöten. Der letzte Satz aus seinem Mund gebietet dezentes Innehalten. Denn in ihm spricht er es nun ganz deutlich aus. Denn es gab für seine Warnung an Varus „außer der Nacht“ keinerlei Zeugen. Dies war sozusagen der Casus knacksus seiner gesamten Argumentationskette, denn es war keine Menschenseele dabei, als er Varus gewarnt haben wollte. Folglich ein Vieraugengespräch zweier Männer von denen der eine nun seit acht Jahren tot war. Also beste Bedingungen und Voraussetzungen für die Schaffung einer unsterblichen Lebenslüge. Und er beantwortet die Frage nach möglichen Zeugen schon von sich aus, bevor sie ihm gestellt wird. Nach Tacitus soll es sich um die Nacht vor dem Aufbruch bzw. dem Ausbruch der Schlacht gehandelt haben. Aber nun betreten wir das angekündigte neue Feld der Argumentation, die gar nicht so abwegig erscheint. Denn es ist erneut unser besonderes Einfühlungsvermögen in die damals prekäre Lage und nicht nur für Segestes, sondern auch für die ihn Befragenden nötig. Denn wir müssen uns auch hier wieder versuchen uns die Lage im Jahre 17 + in Erinnerung zu rufen. Möglicherweise ein karger Raum der römischen Administration ausgestattet mit dem Nötigsten an Mobiliar, aber mit um so aufmerksameren Zuhörern und Fragestellern. Und nun folgt die angekündigte Rolle rückwärts. Denn hatte es Segestes damals alles auch wirklich wortwörtlich so gesagt, wie wir es heute kennen und für richtig halten. Hatten möglicherweise die, die ihn Verhörten bei der Formulierung seiner Worte an den richtigen Stellen vielleicht auch etwas nachgeholfen. Um ihn, dem Unbeholfenen die richtigen Worte finden zu lassen, ihm sozusagen „beim Denken etwas nach zu helfen“, sein Gesagtes zu lenken, vielleicht auch ihn zu beeinflussen, einiges glaubwürdiger erscheinen zu lassen oder ihm andere Worte in den Mund zu legen. Sie, die rhetorisch gewandten, geschulten und geübten Profis und Experten auf der einen Seite und Segestes der kleine Germanenfürst, des Lateinischen wenig mächtig und bewandert. Wo hätte er es auch erlernen sollen. Segestes, der die Worte vielleicht nur im einsilbigen Stotterton heraus brachte und immer um die geeigneten Worte ringen musste. Worte deren Sinn sich ihm gar nicht erschloss. Und so könnte es auch gewesen sein, denn dann war er es gar nicht selbst gewesen, der sich unter anderem seine Warnungen an Varus ausdachte, sondern man schob ihm diese entscheidende Erklärung passenderweise in die Schuhe, wie vermutlich andere Aussagen auch. Dies eröffnet eine völlig neue Dimension der Interpretation, denn dann müsste man sich im gleichen Atemzug auch die Frage stellen, wer denn an dieser manipulierten Auslegung im Palatin Interesse gehabt haben könnte. Das würde zweifellos die Tür für viele Spekulationen öffnen. Es könnte sogar so weit gehen, dass es einigen hohen Herren nur recht und billig gewesen sein könnte, wenn sich die Segestes Aussagen in Einklang mit anderen davon abweichenden Wünschen des Herrscherhauses bringen ließen. So könnte einer Reihe von Personen die Verunglimpfung von Varus sehr gelegen gekommen sein, um vom damaligen eigenen Versagen oder von alten Fehlentscheidungen in Germanien abzulenken. Das plötzliche Auftauchen eines Segestes acht Jahre nach der Varusschlacht barg nämlich auch unerwartete Risiken in sich. Nämlich die Gefahr, dass nun doch noch über diverse Wahrheiten gesprochen wurde die zur Varusschlacht bislang nicht ans Licht kamen und schon verdrängt schienen. Details wie sie nur Segestes der letzte überlebende Zeuge kannte. Der Mann den Germanicus eigentlich nur zu seiner eigenen Reputation nach Rom überführt hatte. Denn nun sah sich Tiberius zum Handeln aufgefordert. Das Wissen des an sich unbedeutenden Segestes war brisant und bedurfte der geeigneten Manipulation an der richtigen Stelle. Er war zwar im großen Schachspiel nur eine Nebenfigur, aber man war um Schadensbegrenzung bemüht, damit seine Kenntnisse nicht in die Hände der Opposition geraten konnten. Die Varusschlacht war 17 + noch nicht verjährt und das Vergangene musste noch verschleiert werden, zumal ein wichtiger Protagonist aus der alten Zeit noch lebte und nun im Zentrum stand, nämlich Kaiser Tiberius persönlich. Größeren Schaden galt es also von ihm abzuwenden. Dem Team um Segestes ging es jetzt darum den Kaiser schadlos zu halten, bevor daraus eine Affäre Segestes werden konnte. So musste jede Spur verwischt und jeglicher Gedanke an eine mögliche Mitschuld des Kaisers am Ausgang der Varusschlacht vermieden werden. Und diese Sorge war berechtigt. Denn wir erinnern uns. Tiberius, war damals noch Feldherr im Dienste von Kaiser Augustus, leitete unmittelbar vor der Varusschlacht die unvollendete Operation „Markomannen Feldzug“ ein und im unmittelbaren Anschluss darauf folgte die „Niederschlagung des Pannonischen Aufstandes“. Aber Tiberius war es auch, der Varus militärisch amputierte und folglich wehrlos machte bzw. machen musste in dem er ihm einen Großteil seiner Legionäre entzog. Sie zuerst gegen Marbod mobilisierte und dann sogar noch aufstocken musste, da der Krieg in Pannonien und gegen die Dalmater noch größere Anstrengungen erforderte. Stellen wir uns vor Segestes, der die Lage in Germanien in dieser Zeit bestens kannte hätte über diese Vorgänge berichtet. Denn er wusste wie die militärischen Karten in Germanien damals gemischt waren. Römische Trupps durchstreiften die Lande um germanische Söldner anzuwerben und Hilftstruppen aufzustellen. Jene Verbände bei denen man mutmaßt, dass auch Arminius darunter war. Auch Segestes werden sie gefragt haben, wie viel Männer er bereit war für den Krieg abzugeben. Dieses Wissen hätte für Kaiser Tiberius zum Debakel werden können, denn es holte ihn nach der langen Zeit nochmal seine Vergangenheit ein und warf einen Schatten auf seinen damals zu ehrgeizigen Plan Marbod auszuschalten, den er 6 + anzugreifen gedachte. Denn an den Pannonienaufstand dachte in dieser Zeit noch niemand. Hätte also Segestes sozusagen ausgepackt und zu Protokoll gegeben, wie zahlenmäßig gering doch damals die drei Legionen des Varus waren, als sie vermutlich 7 + über die Lippe nach Osten vor stießen um die Weserlager zu errichten, da ihnen viele Männer entzogen werden mussten, dann hätte Tiberius die Provinzialisierungsabsichten in Ostwestfalen vielleicht besser aufschieben sollen. Und zwar solange bis die Truppen vom Markomannenfeldzug wieder in die Kastelle an Rhein und Weser eingezogen wären. Zweifellos steckte Tiberius in einer Zwickmühle, denn er konnte nicht mit dem Aufstand an der Donau im Rücken rechnen, als Saturninus durch den bayrischen Wald und er durch das Marchtal von Carnuntum aus gegen Marbod zog. Segestes hätte es auf die Spitze treiben können in dem er gesagt hätte, dass die Varusschlacht für die Germanen zum Kinderspiel wurde, da es kaum wehrfähige Legionäre gab die sie zu besiegen hatten. Die Fehleinschätzung der Lage in Germanien wäre Tiberius anzulasten gewesen, der doch die Germanen seit dem Bündnisvertrag eigentlich gut gekannt haben müsste. Und dann bekäme plötzlich auch die Bemerkung von Marbod den richtigen Sinn, als dieser von „QUONIAM TRES VACUAS LEGIONES ET DUCEM FRAUDIS“ sprach. Denn „vacuas“ heißt nichts anderes als leer. Und im eigentlichen Sinne ist da wohl das mit gemeint gewesen, was wir heute noch unter "vacuum" verstehen.Folglich ein inhaltsloser Raum. In diesem Fall unbesetzt, lückig, ausgedünnt, nicht vorhanden, schlicht wehrlos oder kampfunfähig. Und das mühsame Rätselraten, ob „vacuas“ möglicherweise bedeuten könnte, sie hätten alle „dienstfrei“ gehabt oder lägen wegen des Kaisers Geburtstag noch im Alkoholrausch wäre beendet. Und keiner konnte es besser wissen als Marbod. Denn die Legionäre die Varus gegen Arminius fehlten waren auf dem Weg zu ihm und sollten ihn bekämpfen. Marbod hielt also keine Schmährede gegen Arminius, sondern sagte die reine Wahrheit und sprach nur das aus, was in Germanien sowieso jeder wusste. Und Marbod war damals, als er es sagte frei in seiner Rede, ohne jegliche Zwänge und er saß nicht zitternd vor einem römischen Tribunal. Er war also unbeeinflusst und somit entschieden glaubhafter als Segestes der in Rom um sein Leben bangen musste und daher Varus zum Alleinschuldigen zu erklären hatte. Wir sehen also, wie sich die Logik um den Verlauf der Varusschlacht dank zahlreicher Analysen und Indizien immer enger ziehen lässt, wenn man sich nur auf neue Gedankenspiele einlässt. Denn der arme Varus hatte das schwere Los zu tragen gehabt, mit drei zerpflückten Rumpflegionen an der Weser die Stellung in einem unsicheren Land zu halten. Eine Position die er nur mit Hilfe der cheruskischen Reiter halten konnte und das nur so lange wie ihm diese die Treue hielten. Und da Arminius sie alle befehligte durfte er sie sich in seiner schwachen militärischen Position nicht zum Feind machen und sich keinesfalls auf die Seite des schwächeren Widersachers Segestes stellen. Auch dann nicht, wenn der ihn nicht gewarnt hätte. Wäre dies alles damals Segestes über die Lippen gegangen hätte es fatal und zu einem Sturm der Entrüstung kommen können. Alte Fragen werden noch mal hervor gezerrt worden und Tiberius hätte es schwer gehabt die Versäumnisse seinem verstorbenen Vorgänger Augustus anzukreiden. Und ein Germane der es wagt dem Kaiser die Schuld für die Niederlage im Saltus zu geben, in dem er ihm seine alten Entscheidungen zum Vorwurf machte, den konnte und durfte es nicht geben. Wäre dies alles schwarz auf weiß notiert worden, so wäre es gegen Segestes zum Prozess wegen Hochverrat gekommen. So haben wir es nur mit einer Zeugenbeeinflussung durch die Gegenseite zu tun. Und es war die Aufgabe der Hofbeamten sicherzustellen, dass Segestes in diesen wesentlichen Punkten schwieg, während er in anderer Hinsicht seiner Zunge freien Lauf lassen durfte. Aber er hätte wohl auch von sich aus so gehandelt, denn er war nicht lebensmüde. So ließ es sich aus der Sicht des römischen Herrscherhauses passenderweise darstellen, dass nicht das Fehlen der militärischen Schlagkraft die Niederlage herbei führte, sondern es einzig das Versagen des Varus war, auf Segestes nicht gehört zu haben und alle waren zufrieden. Wer nun die Idee hatte Segestes zu unterstellen er habe Varus gewarnt, ob man es ihm dies nahe legte, oder ob er sie selbst entwickelte bleibt im Reich der Spekulation. Aber auch diese Darstellungen erzeugt den Eindruck, dass alles anders verlaufen sein könnte, als wir es uns heute vorstellen möchten. Und manchmal kann ein Blick in die Seele des Menschen mehr offenbaren als 2000 Jahre alte Schriftstücke. Wäre es aber genauso gewesen, müssten wir allerdings auch ein bedauerliches Fazit ziehen, denn aus unserer heutigen Sicht betrachtet, würden dadurch unsere Chancen um ein Vielfaches sinken, überhaupt jemals im Nethegau oder am Borlinghausen/Kleinenberger Steilanstieg auf die wenigen Utensilien dieser Mehrtagesschlacht zu stoßen. Denn sie wurde mit weitaus weniger Männern ausgetragen als bisher angenommen. Man hörte also vielleicht auch Segestes nur zu und ließ ihn möglicherweise ohne Unterbrechung zu Wort kommen, fertigte dann aber ein Papier aus, dass in Gänze darauf abgestimmt war, was man im Palatin gerne hören wollte. Denn wer hatte damals schon Interesse an der Wahrheit. Tacitus verfügte also definitiv über den Originaltext dessen was Segestes an jenem Tag in Rom verlauten ließ und gab ihn unbedarft und unbenommen ob seiner Richtigkeit wider. Aber mit dem Wissen um den Inhalt des Gespräches mit Segestes besaß Tacitus den wichtigen Einblick in die Begebenheiten vor dem Ausbruch der Varusschlacht von dem uns keiner aus ihm berichtete. Tacitus war zwar Geschichtsschreiber, er trat aber auch als Autor seiner Jahrbücher auf. Dem Unterhaltungswert kam zu allen Zeiten eine Bedeutung zu und so wollte der Leser in den Ereignissen auch einen Zusammenhang erkennen können. Tacitus kam dem nach, in dem er die Angaben von Segestes als Grundlage für seine eigenen Interpretationen der Abläufe nutzte. Dem Kapitel 1.55 (1-3) lässt sich seine Methodik entnehmen. Tacitus las, dass Segestes Varus mehrfach gewarnt haben wollte womit er richtig gelegen haben könnte, denn es hörte sich auch so an. Dann aber kommt er zu einer Reihe nicht nachvollziehbarer Schlussfolgerungen. So gelangt er zu folgenden Behauptungen. Nämlich zu Feststellungen die er alle dem Segestestext, zumindest nicht aus dessen Ansprache 1.58.(1-4) entnommen haben kann, denn daraus gingen diese Details nicht hervor. So zu der Ansicht, dass Segestes die letzte Warnung in jener Nacht aussprach bei der es sich um die letzte Nacht vor dem Auszug gehandelt hat. Die besagte nächtliche Warnung, für die es jedoch keine Zeugen gab, in der aber nur einzig Tacitus die letzte Nacht sah. Es kann also auch eine beliebige Nacht gewesen sein die bereits einige Tage vor dem Abzug lag. Dann fügt er hinzu, es wäre in dieser Nacht auch noch zu einem gemeinsamen Gastmahl gekommen, wovon Segestes aber auch nicht sprach und weitere Zeugen wiederum nicht existieren. Des Weiteren erwähnt Tacitus, dass man danach unter die Waffen trat. Auch diese Bemerkung kann man bei Segestes nicht nach lesen, denn der verlor kein Wort über einen Gang unter die Waffen und es gibt dafür ebenfalls keine Zeugen. Seine Ausführungen gipfeln dann in der Beschreibung, dass Segestes Varus geraten habe, er möge doch alle gefangen nehmen, dann würde das Volk keinen Aufstand mehr wagen. So nachzulesen in Kapitel 1.55 (2). Dieser Hinweis lässt besonders aufhorchen, denn Segestes sprach in der Tat über das Anlegen von Ketten. Aber während Tacitus dies an den Vorabend der Schlacht verlegte sagte Segestes, dass er erst nach der Varusschlacht Arminius und der wiederum ihm Ketten anlegte. So nachzulesen in Kapitel 1.58(3). Aber wann soll Segestes gesagt haben, dass er Varus riet Arminius und ihm die Ketten anzulegen, jedenfalls nicht, als man ihn 17 + in Rom befragte denn auch dies geht nicht aus dem Jahrbuch 1.58 (1-4) hervor. Sollten wir an dieser Stelle etwa den Beweis erbringen können, dass die Aussage von Segestes, man habe sich die Ketten nach der Varusschlacht gegenseitig angelegt bei Tacitus auf eine so starke Ungläubigkeit gestoßen ist, dass er sich gezwungen sah, diese Aussage auf der Vorabend zu verlegen, wo sie mehr Sinn ergibt. Diese Unlogik könnte für Tacitus deutlich zutage getreten sein, denn warum sollte man sich nach einer gewonnenen Schlacht noch gegenseitig Ketten angelegt haben. Eine Schlacht in die sich sogar auf Seiten von Arminius Segestes selbst hat mit hinein ziehen lassen. Vermutlich basierte in der Summe betrachtet vieles auf Mutmaßungen des Tacitus um seinem Jahrbuch die nötige Geschmeidigkeit und Plausibilität zu verleihen. Denn wir erinnern uns, dass Segestes außer der „Nacht“ bekanntlich keine Zeugen hatte. Man kann lediglich spekulieren, dass es zum Segestes Verhörtext noch ein unbekanntes Zusatzprotokoll gab, dass aber Tacitus nicht erwähnte. Hätte es derartiges gegeben, Tacitus hätte es uns wohl nicht verschwiegen. Tacitus wiederholte also den Wortlaut der Segestesrede, griff dann aber zu eigenen Formulierungen, vertiefte diese noch und verlieh ihnen zusätzlichen neuen Inhalt, so wie es sich ihm erschloss und wie es ihm logisch erschien. Aber als kritischer Geschichtsschreiber sollte man die Textstellen kennzeichnen, an denen Veränderungen durchführt wurden. Es fällt besonders auf, wenn man das Kapitel 1.58 (1-4) dem Kapitel 1.55. (1-3) Passage um Passage gegenüber stellt. Denn er steuerte kein neues grundlegendes Wissen bei, sondern stützte sich jeweils auf die Aussagen des Kapitels 1.58.(1-4) in dem er die Ansprache von Segestes zitierte. So deutet vieles daraufhin hin, dass auch Tacitus nur die Segestes Rede aus dem Jahr 17 + vorlag und er keine anderen Quellen nutzte, als diese eine Senatsquelle mit der Segestesrede. Was wir ähnlich wie bei Cassius Dio auch bei Tacitus wieder feststellen können ist das Verschieben oder Vorziehen von Begebenheiten in andere Kapitel. Denn Tacitus offenbarte uns den Segestes Textwortlaut unter 1.58.(1-4) kommentierte diesen dann aber schon im früheren Abschnitt 1.55.(1-3). Aber wir können es ihm nachsehen, denn es war ihm aus aufbautaktischen Gründen nicht anders möglich, da die Varusschlacht auf die er sich unter 1.55.(1-3) bezog, nun mal 9 + statt fand und nicht als Segestes 17 + über das Geschehen des Jahres 15 + sprach. Somit verwertete er den Inhalt der Segestes Rede aus dem Jahr 17 + um damit seine eigenen argumentativen Lücken im Zusammenhang mit der Varusschlacht zu schließen. Er musste also zwangsläufig seine Kommentierung vorziehen, obwohl das Wissen über die Ereignisse des Jahres 9 + erst acht Jahre später über die Zunge von Segestes ans Licht kam. Aber was man nun vor diesem Hintergrund ebenfalls anders bewerten muss ist die Aussage zu der Tacitus in seinem Kapitel 1.59 (1-5) kommt. Denn was er darin zum Ausdruck bringt erscheint uns nicht anderes zu sein, als das was er vorher auch praktizierte. Er verfällt in seine eigenen Vorstellungswelten über das, was sich in Germanien nach der Befreiung des Segestes im Frühjahr des Jahres 15 + ereignet haben könnte. Er philosophiert sich die vermeintlichen Abläufe und Begebenheiten so zurecht wie er sie für realistisch hielt, kann aber in keinem Punkt eine reale Quelle heran ziehen. Denn wer wollte die Kunde, dass der gedemütigte Arminius aus den innergermanischen Gaulandschaften zwischen Ostwestfalen und dem Harzvorland gegen Rom zum Widerstand aufrief nach Rom getragen haben. Während der Zeitspanne die zwischen der Befreiung des Segestes im Frühjahr 15 + und dem Anrücken der Germanicus Armee im Sommer 15 + lag gab es keine diplomatischen Kontakte über die Grenzen hinweg die historisch aufgearbeitet worden wären. Eine Zeit in der sich kein Römer in Ostwestfalen aufhielt um es weiter zu geben. Für Tacitus aber war der von ihm erdachte Amoklauf des Arminius die Erklärung dafür, dass Germanicus sich gezwungen sah im Sommer 15 + einen weiteren Krieg gegen die Germanen zu führen. Und Arminius bot ihm dazu die nötige Argumentation die er aus seiner Vorstellungskraft heraus zu Papier brachte, weil er es sich genau so vorstellen konnte. Wie sollte er es sich nach hundert vergangenen Jahren auch anders vorstellen, warum Germanicus im Frühjahr 15 + seinen Krieg abbrach um ihn dann im Sommer 15 + wieder aufzunehmen. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass uns von Tacitus keine Details zum Verlauf der Varusschlacht vorliegen. Es schien ihm dazu nichts vorgelegen zu haben oder es war für ihn nicht mehr greifbar. Was die Varusschlacht anbelangt, so konnte Tacitus also lediglich über den Besuch von Germanicus auf dem Varus Schlachtfeld im Sommer 15 + berichte, folglich das, was aus dem Umfeld des Germanicus überliefert wurde und zitierte Segestes nur hinsichtlich der Vorgänge was die Ereignisse vor Varusschlacht 9 + anbelangten. Stoßen wir in seinen Jahrbüchern also auf historisches Wissen, dass nicht von Segestes stammte, so lässt es sich den Quellen entnehmen die Tacitus über die Feldzüge des Germanicus vorlagen. Zum Beispiel die Existenz eines Inguimerus, da dessen Anwesenheit beim Rückzugsgfecht 15 + an den langen Brücken bekannt war. Wenn wir mal von seinem wertvollen Hinweis auf die Örtlichkeit des „Teutoburgiensi saltu“ absehen wollen, suchen wir also weiter reichendes Wissen über die Varusschlacht bei Tacitus vergeblich. So hat auch Tacitus das traurige Los der modernen Geschichtsforschung gezogen in dem auch er diverse Lücken mit seiner eigenen Gedankenwelt schließen musste. Wie bedeutsam musste also für Tacitus die Segestes Ansprache gewesen sein, wenn sie sich inhaltlich durch viele seiner Jahrbücher bzw. Kapitel zog und er darauf basierend eigene Versionen schuf. Segestes las 17 + nicht mehr nach, was die Beamten des Kaisers nach seiner Unterredung mit ihm verfassten. Er vertraute auf den ihm zugestandenen Altersruhesitz, denn er hatte sich so verhalten wie man es von ihm erwartete, untertänig und widerspruchslos.

Original Übersetzung zu 1.58.(3) 

Was folgte, muss man eher beklagen als rechtfertigen; jedenfalls habe ich sowohl Arminius in Ketten legen lassen als auch (meinerseits) von seiner Partei erdulden (müssen), dass man mir (Ketten) anlegte. Sobald aber deine Truppe (da ist), ziehe ich das Alte dem Neuen, die Ruhe den Unruhen vor, und zwar nicht um einer Belohnung willen, sondern um mich von (dem Verdacht eines) Treubruchs zu lösen; zugleich (will ich) dem Volk der Germanen ein geeigneter Vermittler (sein), falls es die Reue dem Untergang vorzieht.

Zusammenfassung zu 1.58.(3)

Beide Konfliktparteien legten sich also nach der Varusschlacht gegenseitig in Ketten um sich handlungsunfähig zu machen. Damit beendet Segestes seine Ausführungen mit denen er unterstreichen wollte alles getan zu haben um die Varusschlacht nicht zum Ausbruch kommen zu lassen. Nun aber waren bis zu seiner Befreiung 15 + sechs Jahre vergangen und Segestes wünschte sich zurück versetzt in dieses Jahr 15 + in seiner Rede die er 17 + vor dem Senatsausschuss hielt wieder das Anknüpfen an die alten Zeiten, als noch Varus residierte und große Unruhe herrschte. Segestes brachte aber zum Ausdruck, dass er Germanicus nicht herbei gerufen habe um sich von ihm für für seine Treue zu Rom belohnen zu lassen. Vielmehr ging es ihm darum den Verdacht zu entkräften, er könne gegen Rom einen Treuebruch begangen haben. Sollte aber nun der Teil der Cherusker, der sich gegen Rom gestellt hatte einsehen, dass man falsch gehandelt habe, so würde er Segestes dann gerne eine Vermittlerrolle zwischen jenen bzw. allen Cheruskern und Rom übernehmen.

Interpretation bzw. Fazit zu  1.58. (3)

Die Darstellung von Segestes gibt ein diffuses und verwirrendes Bild wider, denn wie sollte man es sich vorstellen, dass sich die Fürsten der rivalisierenden Stämme gegenseitig nach einer gewonnenen Schlacht noch in Ketten gelegt haben sollen. Es müssten demnach beide Stämme noch nach der Schlacht aufeinander los gegangen sein, wodurch es zu Auseinandersetzungen kam die mit gegenseitiger Gefangennahme endeten. Eine Erklärung die keinen Sinn ergibt und die die gesamte Darstellung als auch die Glaubwürdigkeit von Segestes ins Wanken bringt, zumal Segestes sich auf Seiten der Arminius Cherusker in die Schlacht mit hinein ziehen ließ. Denn einen siegreichen Arminius dürfte sicherlich nach der Schlacht niemand mehr gewagt haben in Ketten zu legen. Was soll also Segestes mit dieser Bemerkung beabsichtigt haben, wenn er nicht falsch zitiert wurde bzw. das Verhörpersonal es verdreht wider gab. Eine Fragestellung mit der sich bislang offensichtlich kein Geschichtsforscher beschäftigt hat, zumindest konnte ich keine Erklärungen dafür finden. Möglicherweise hatte sogar Tacitus die richtige Nase um zu erkennen, dass diese Darstellung nicht an das Ende der Varusschlacht, sondern an den Anfang gehörte, so wie er es auch dargestellt hat. Denn dem Tribunal glaubhaft zu machen, er habe sich noch nach der Varusniederlage mit Arminius angelegt dürfte ihm nicht gelungen sein. Letztlich musste Segestes jedes Mittel recht sich über jeden Verdacht erheben zu können sich untreu gegenüber dem römischen Volk gezeigt zu haben. Er begründete sogar das Herbeirufen von Germanicus damit, dass dies ein Mitgrund dafür war zu beweisen, dass er immer in Treue zu Rom gestanden habe. In seinem letzten Satz wird Segestes überdeutlich und bestätigt die Theorie zukünftig eine größere Rolle in einem römischen Germanien nicht nur einnehmen zu können, sondern auch zu wollen. Sich also Rom als neuer Führer der Germanen anzubieten, wenn denn die Kriege von Rom erfolgreich zu Ende geführt waren. Das Ziel, dass in ihm schlummerte und ihn bewogen haben könnte die Fronten zu wechseln. Nun wusste man im Rom des Jahres 17 +, dass daraus nichts wurde, dies also ein frommer Wunsch blieb. Segestes musste jetzt vorsichtig sein, denn er unterstellte dem Imperium indirekt das Versagen in den Germanenkriegen. So konnte er auch nie unter Beweis stellen, dass aus ihm ein guter romtreuer Cheruskerfürst werden konnte.

Original Übersetzung zu 1.58.(4) 

Für die jugendliche Verirrung meines Sohnes erbitte ich Gnade; meine Tochter wurde (dagegen), wie ich bekenne, unter Zwang hergeführt. Es liegt an dir zu erwägen, ob es mehr wiegt, dass sie von Arminius schwanger oder von mir gezeugt wurde."

Zusammenfassung zu 1.58.(4)

Segestes entschuldigt sich dafür,dass sich sein Sohn Segimundus vor der Varusschlacht Arminius angeschlossen hatte und gibt zu seine Tochter mit Gewalt aus den Händen von Arminius befreit zu haben. Er versuchte sie mit diesen Worten schadlos zu halten. Aber hier verborgen steckt ein kleiner Makel in meiner Hypothese. Denn in der Überlieferung spricht Segestes eine einzelne Person an, in dem es heißt. "Es liegt an DIR zu erwägen.....". Da meine Theorie aber darauf basiert, dass Segestes sie im Verhörraum in Rom zu Protokoll gab und nicht im Jahre 15 + vor Germanicus, so könnte man daraus schließen, dass er es doch in seiner Burg gesagt hat.Ich rechtfertige meine Theorie an dieser Stelle unter Zuhilfenahme der Gesamtanalyse und lasse es im Raum stehen.

Interpretation bzw. Fazit zu 1.58. (4)

Nachdem was man nun von Segestes weiß, wie er taktierte und sich rein zu waschen versuchte müssen alle seine Aussagen vor einem anderen Hintergrund gesehen werden. Hinzu kommt die mögliche Einflussnahme der Beamten die ihn befragten und alles mit schrieben. Ob er es nun gesagt hatte oder sie es ihm in den Mund legten. Man muss also vieles befürchten und so manches annehmen dürfen. Denn wenn er Segimundus entschuldigte, so tat er das im gleichen Atemzug auch für sich, denn auch seine Rolle war nebulös. Und wenn er die Entführung seiner Tochter ansprach bedeutete dies nicht unbedingt, dass er dies gegen ihren Willen tat. Sondern könnte auch darauf hinweisen, dass Arminius sie unter Zwang fest hielt. Segestes sie also aus seinen Zwängen befreien musste. Möglicherweise musste er sie auch vorher gar nicht befreien, da sie sowieso bei ihm lebte, wo sie ihr Kind zur Welt bringen sollte. Denn die hierarchischen Verhältnisse waren damals anders und die Rechte von Thusneldas Vater in den Zeiten des Patriarchats waren ungleich höher als die des Vaters ihres Kindes, insbesondere wenn man die Traditionen der Raubehe oder des Brautraubes mit einbezieht oder sie bedenkt. Segestes musste vieles zurecht biegen, bis es in sein Konzept passte. Aber es war für Segestes letztlich der Durchbruch. Er hatte es nun geschafft und konnte sich vom eigentlichen Geschehen und den alten Gewalttaten entfernen und den treusorgenden Familienvater abgeben. Insgesamt eine gelungene Inszenierung die es in der Tat jedem Leser ungemein schwer macht am Wahrheitsgehalt zu zweifeln. (08.05.2020)

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