Montag, 11. Mai 2020
Segestes und die wichtigste Ansprache seines Lebens - Tacitus zitierte sie in der Annahme er hielt sie 15 + vor Germanicus
Es scheint sich zu einem Faktum heraus zu kristallisieren, denn Segestes blieb vermutlich nichts anderes übrig als sich im Jahr 17 + für seine Handlungsweise von damals, also von vor Beginn der Varusschlacht 9 + gute Begründungen einfallen zu lassen. Sein Verhalten, dass seine Freunde Warnung und seine Feinde Verrat nannten. In ein Gespräch zitiert hatte ihn wie man annehmen darf, eine hochrangige Riege bestehend aus Senatoren und möglicherweise auch anderen Personen. Segestes musste die Sachlage schön reden, wenn er die Tortur der vielen Fragen im Zuge der Aufarbeitung überstehen wollte. Eine Fragerunde die er gerne vermieden hätte. Aber wann bekam man in Rom schon mal einen Germanenfürsten zu fassen, der acht Jahre zuvor in einer für das Imperium äußerst bedrohlichen Phase in unmittelbarem Kontakt zum feindlichen Lager stand und der über das Internum berichten konnte. Wer wollte es da auch dem palatinischen Geheimdienst den Frumentarii verdenken, wenn man die gute Gelegenheit etwas über den Gegner erfahren zu können, verstreichen ließe. Denn der germanische Widersacher von einst war 17 + nicht besiegt, Tiberius hatte den Krieg gegen ihn 16 + schlicht für beendet erklärt und die Kampfhandlungen einseitig einstellen lassen. Aber Arminius lebte und in Ostwestfalen strotzte man vor Kampfkraft. Was die Befragung von Segestes pikant machte, waren die Ereignisse um seine Befreiung durch Germanicus im Jahre 15 + nach dem er diesen um Hilfe bat. Denn auch die Umstände die dazu führten müssen in der Art und Weise nicht unbedingt so verlaufen sein, wie es uns die Wissenschaft anhand der Textanalyse vorschlägt. So lässt auch das was 15 + im Umkreis der Segestes Burg geschah zwei Denkrichtungen zu. Zum einen lassen sie ein verbales Einwirken durch Segestes möglich erscheinen, mit dem er sich ins rechte Licht rücken und den Verlauf in seinem Sinne darstellen wollte um seine Haut zu retten. Zum anderen könnte man aber auch in diesem Fall die Theorie einer Einflussnahme durch die Personen des Tribunals in Betracht ziehen, in dem man den Zeugen Segestes zu einer kontrollierten Aussage gebracht haben könnte. Segestes musste 17 + sowohl für 9 +, als auch für 15 + glaubwürdige Erklärungen anbieten. Man erkennt es daran, dass er beide Ereignisse in seiner Reputationsrede zusammen fasste und vermischte. Also sowohl die Dinge die sich im Vorfeld der Varusschlacht ereigneten, als auch die um seine Befreiung im Jahre 15 +. Segestes war ein Germanenfürst in rauen Zeiten und geübt in Sachen Selbstdarstellung wenn es seinen Interessen diente und geschickt im Taktieren, aber Rom war ein anderes Pflaster und daher für ihn eine besondere Herausforderung. Nach allem was wir über ihn wissen, war für ihn Konspiration kein Fremdwort und sie schimmerte an vielen Stellen durch. Dieses Talent könnte er auch für die Umstände im Zuge seiner Befreiung genutzt haben, wenn er sich damit eine Verbesserung seiner Lage erhoffte. Denn im Ränkeschmieden, der Fähigkeit durch unerwartetes Handeln Wendungen zu vollziehen was man gemeinhin auch als Intrige bezeichnet, war er bewandert und verkörperte Eigenschaften die man damit verbindet. Unter Beweis stellte er dies mit seinen vermeintlichen Varus gegenüber ausgesprochenen Warnungen und in dem er sich sechs Jahre später und das noch rechtzeitig vor den großen Kriegen der Jahre 15 und 16 + ins Imperium absetzen bzw. sich so selbst in Sicherheit bringen konnte. Die etymologische Forschung trifft es gut und scheint es fasst schon auf Segestes zugeschnitten zu haben. Denn den Begriff der Ränke umschreibt sie mit den Worten, dass man den richtigen Rank gefunden habe, wenn man eine geschickte Lösung sieht, mit Hilfe der man sich aus einer kritischen Lage befreien kann. Und Segestes wusste sich in schwierigen Momenten zu helfen. Sein, nennen wir es mal rhetorisches Meisterstück mit dem er sich selbst, oder mit der fragwürdigen Hilfe der Frumentarii  aus der Affäre zu winden wusste vollführte er, wie sich recherchieren lässt jedoch nicht im Frühjahr 15 + dem Jahr seiner „Befreiung“, sondern erst zwei Jahre später 17 + in Rom. Allerdings tut sich uns noch eine andere Wissenslücke auf. Denn wir können auch nicht sagen, ob die damals von Segestes gesprochenen und dann verschrifteten Worte noch nach dem sie ins Archiv des Palatin gelangten von weiteren schreibkundigen Händen verändert worden sein konnten, bevor sie hundert Jahre später den Schreibtisch von Tacitus erreichten. Ruhte die Aussage also hundert Jahre unangetastet im Archiv oder fanden an ihr noch spätere Veränderungen statt. Man kann aber den Eindruck gewinnen, dass sie nach dem sie ins Archiv gelangte authentisch blieb. Sollte man sich dem leicht Konspirativen zuwenden wollen, könnte man auch noch auf den Gedanken kommen, dass Tacitus selbst noch an der Reputationsrede des Segestes feilte, Hand angelegt oder sie umformuliert hat. Denn in Teilen lässt es sich nicht völlig ausschließen. Aber man dürfte nicht auf komplette Passagen stoßen, an deren Veränderung Tacitus selbst besonderes Interesse gehabt haben könnte, denn es ging ihm wohl weniger um Umdeutung als um Plausibilität. So kann man im Zuge der Rekonstruktion davon ausgehen, dass die Segestes Rede, als sie in Rom nieder geschrieben wurde auf ihrem hundert jährigen Weg zu ihm auch im Wortlaut im Wesentlichen gleich blieb. Lediglich bei der singulären Anrede die Segestes 1.58.(4) wählte, kann ein Verdacht aufkommen, als ob Tacitus später zwecks Herstellung der besagten Plausibilität die Einzahl vorzog um in der Person des Germanicus 15 + den Ansprechpartner zu fixieren und nicht die mehr köpfige Runde des Tribunals 17 +. Ob sich Tacitus auch auf Seneca, Strabo, Plinius den Älteren, Titus Livius, Aufidius Bassus oder andere stützte ist uns nicht bekannt aber möglich. Tacitus konnte wie man weiß Einblick nehmen in die schon zu seiner Zeit alt zu nennenden Senatsprotokolle, „die acta senatus“ in dessen Bestand sich auch die Segestes Aussage befand und konnte daher ihren Inhalt für seine Studien nutzen um sie in seine Aufzeichnungen zu integrieren. Insgesamt unterlagen jegliche Protokolle über Staatsakte der Geheimhaltung. Sie wurden seit Kaiser Augustus aufbewahrt, waren aber nicht öffentlich zugänglich und durften nicht veröffentlicht werden. Angefertigt wurden sie in der Kaiserzeit von einem, wahrscheinlich aber mehreren militärischen Verwaltungsbeamten oder Behördenmitarbeitern. Man nannte sie die „ab actis senatus“ und sie standen demnach wohl im Range eines Senators, vielleicht waren auch die Frumentarii mit daran beteiligt. Mit Personen aus ihren Reihen könnte auch jene Runde besetzt gewesen sein, die sich im Jahre 17 + näher mit dem Überläufer Segestes zu beschäftigen hatte. Tacitus den man als äußerst kritischen Geschichtsschreiber einschätzt, da er wie auch später Cassius Dio auf Widersprüchliches stieß, aber auf die Wiedergabe verzichtet haben soll, versuchte nicht nur, sondern musste auch den Inhalt der Protokolle selektieren um es nach seinem Wissen und Gewissen richtig darzustellen. Was jedoch seine Zuverlässigkeit anbelangt, so sitzt auch Tacitus nicht so sattelfest auf seinem Thron. Denn man ertappte ihn auch an anderen Stellen, wo er sich zu stark den Halbwahrheiten zuneigte und seine Texte teilweise manipulierte, wodurch er den Leser seine eigenen Vorstellungen glauben machen wollte. Es ist daher mit Vorsicht zu genießen, inwieweit er auf Widersprüchliches nicht eingegangen ist und wie es den Anschein macht seine eigenen Interpretationen im Zuge seiner Verschriftung mit eingeflochten hat. In unseren Vorstellungen mag die Vision existieren, dass es in antiker Zeit eine Unmenge von Aufzeichnungen gegeben haben muss, die allesamt verschollen sind. Genauso kann man aber auch die gegenteilige Auffassung vertreten, dass nämlich Tacitus nur auf sehr wenige Zeugnisse stieß, die über diese kurze Zeitspanne, explizit das Jahr 17 + berichteten und er schon froh über das Wenige war, was er vorfand. Allein die Hoffnung auf ein Auftauchen der Verschollenen „Bella Germaniae“ von Plinius dem Älteren, wirkt bereits auf jeden Geschichtsfreund nahezu elektrisierend, aber sie wird wohl für immer unter dem Staub der ewigen Stadt begraben bleiben. Aber in den Tacitus vorliegenden Unterlagen befand sich wie wir wissen, dieses eine gut erhaltene Schriftstück der Segestes Rede, das ihm im Ursprungstext vorlag und das ihn besonders angesprochen haben dürfte, denn es besaß Substanz und er schien es ungekürzt in sein Jahrbuch übernommen zu haben. Ein Text den er sich zum Fundament vieler Recherchen machte. Wir können ihn unter 1.58 (1 – 4) bequem nach lesen und es ohne Übertreibung eine historische Rede nennen, denn es handelte sich um eine bewegende Ansprache wie sie aus dem Munde eines höher gestellten Germanen und das so kurz nach der Jahrtausendwende für die Germanistik eine Rarität darstellt. Es waren besondere und wohl überlegte Worte die Segestes da für seine bedeutungsvolle Reputationsrede fand. Und nach Tacitus soll er sie an einem für ihn schicksalhaften Tag im Frühling des Jahres 15 + gehalten haben. An einem entlegenen Ort noch weit ab römischer Einflussnahme. Etwa auf der Schwelle zu seiner Burg könnte oder soll Segestes dem Germanicus also diese Worte entgegen gerufen oder sie an ihn gerichtet haben, als der vielleicht noch malerisch in Szene gesetzt mit einer blutigen Waffe in der Hand sein Anwesen betrat um ihn und seine engsten Verwandten aus den Klauen der Arminen zu befreien. Nach den Worten von Tacitus soll Segestes wohl auch in diesem Moment eine gewaltige und furchtlose Erscheinung abgegeben haben. Eine Beschreibung die von wem auch immer zu Papier gebracht wurde und die auf unbekannte Personen zurück zu führen ist, die ihn so gesehen haben und die Tacitus ebenfalls in seinen Unterlagen entdeckte. Er könnte es auch noch bei Strabo nach gelesen haben, denn auch er so wird geschlussfolgert, könnte Segestes in Rom 17 + mit eigenen Augen gesehen haben. Der Augenblick in dem der Germane Segestes erstmals Germanicus sah, muss für beide ein besonderer Moment gewesen sein, denn zuvor dürften sie sich nicht gegenüber gestanden haben. Aber seine „Begrüßungsworte“ an ihn fielen der Überlieferung nach unerwartet gefasst aus und er fand hehre Worte, die denen eines frühen Staatsmannes recht nahe kamen. Tacitus schreibt. „Er „Segestes“ sprach wie folgt: Dann beginnt eine längere Ansprache die eher auf einen Monolog hinaus läuft und mehr an einen größeren Zuhörerkreis gerichtet zu sein schien, als an eine Einzelperson wie Germanicus, obwohl er der Übersetzung nach das Wort „DIR“ verwendet, also eine Einzelperson anspricht. Segestes brüstete sich darin überschwänglich für seine Taten und beschwört seine langjährige Bündnistreue gegenüber dem Imperium. Es war ein bemerkenswertes und auch für heutige Verhältnisse ausgezeichnetes und gut gewähltes Statement, welches er da in einer ausgesucht, ausgewogenen und disziplinierten Art und Weise abgegeben hat. Bedenkt man die äußerst brenzlige Lebenslage in der er sich befand kann man nur sagen, Chapeau. Also eine Rechtfertigungsrhetorik geschmückt mit hoher inhaltlicher Qualität und Aussagekraft. Aber es steckte in seinen kraftvollen Worten auch ein Beweis. Denn Segestes konnte in Anbetracht der damaligen Umstände aus einer konkreten Gefahrenlage heraus diese gewaltige rhetorische Leistung, samt flüssigem Satzaufbau und wohlfeiler Rundung kaum in seiner Burg in „Vogelbeck“ zustande gebracht haben, zumindest nicht so tiefsinnig wie sie uns überliefert ist, denn dafür war die Situation gänzlich ungeeignet und würde eher zu einem Kamingespräch passen. Aber wenn wir Tacitus Glauben schenken, soll es Segestes in Germanien nach dem oder bevor man die Beutestücke aus der Varusschlacht zusammen trug, tatsächlich so gesagt haben. Aber es scheint nahezu undenkbar. Denn dieser schon literarisch wertvoll zu nennende Text konnte sich nicht Buchstabe für Buchstabe, also wortgetreu und in der uns bekannten Form aus den Wäldern Germaniens bis in die Chroniken des römischen Senats überführen lassen. Denn dazu hätten seine „römischen Retter“ alles an Ort und Stelle mit schreiben müssen. Es muss aber stark angezweifelt und in Frage gestellt werden, dass Germanicus unter den damaligen bedrohlichen Umständen Schreibkundige oder Biographen mit sich führte, deren Aufgabe darin bestand selbst in dieser kritischen Phase alles im klassischen Latein fein säuberlich nieder zu schreiben, quasi Protokoll über den genauen Hergang der Befreiungsaktion zu führen. Und ein solch umfangreicher Inhalt lässt sich auch erst recht nicht über eine derartige Distanz und Zeit in zitierfähiger Form bis Rom in Erinnerung behalten. Und war man überhaupt willens und imstande diese Wortfülle später noch einmal allen ernstes und in Gänze in Rom sozusagen aus der Erinnerung heraus zu wiederholen um sie zu Papier zu bringen. So spricht vieles und nahezu alles dafür, dass Segestes auch diese Worte in einer aufgeräumt und ruhigen inneren Verfassung nur im Rom des Jahres 17 + dem Senat gegenüber ausgesprochen haben kann, sie aber nicht zwei Jahre vorher im vermeintlichen Einbeck an der Leine Germanicus im Zuge seiner hektischen Befreiung sagte. Man kann somit daraus schlussfolgern, dass Tacitus die Worte von Segestes den Senatsprotokollen entnahm vielleicht auch nur schlicht unwissend, wo genau sie einst ausgesprochen wurden. Worte die von Segestes nach Ansicht von Tacitus nur im Zusammenhang mit seiner Befreiung im Jahre 15 + gefallen sein konnten und auch im kühlen Norden zu Papier gebracht wurden. Tacitus könnte es passend gemacht haben und fügte sie in die chronologische Reihenfolge der Befreiungsaktion in Germanien des Jahres 15 + ein, um den Geschehnissen einen sinnhaften und nachvollziehbaren Ablauf zu geben. Dem antiken Leser seiner Jahrbücher konnte es gleich gewesen sein in welchem Zusammenhang Segestes seine Worte verlor, ob in Germanien oder Rom, denn er hatte sich nicht der Forschung verschrieben. Damit wird diese Rede von Segestes zu einem Hauptbestandteil seiner Bemühungen mit dem römischen Senat um Wertschätzung und Glaubwürdigkeit für seine Person zu ringen. Ein Mann der mit allen Mittel kämpfen musste und dem alle Mittel recht waren um sich als Römerfreund zu beweisen. Die lauteren und die unlauteren Geständnisse eines Mannes der sich 15 + in Germanien noch eine andere Zukunft erhofft und versprochen hatte, als in Rom auf einer Verhörbank zu enden. Aber was soll Segestes nun gesagt haben, als er sich 17 + in Rom zu rechtfertigen hatte. So verfiel vermutlich auch Tacitus aufgrund der unterschiedlichen Quellen die ihm vorlagen in die gleiche Zwangssystematik, wie es später auch bei Cassius Dio feststellbar ist, dem es ähnlich erging. Aber wenn Segestes diese Worte nicht im vermeintlichen Vogelbeck sprach, sondern erst zwei Jahre später in Rom, konnte auch Germanicus darauf in Vogelbeck nicht unmittelbar geantwortet haben, so wie es uns Tacitus hinterließ. Denn unter 1.58 (5) schwenkt Tacitus um und gestaltet den weiteren Verlauf so, als ob Germanicus darauf sofort eine Antwort auf die starken Worte des Segestes parat gehabt hätte. Denn Germanicus soll Segestes gegenüber geradezu spontan und überaus gütig reagiert haben indem er seiner Sippe Straflosigkeit und ihm einen Altersruhesitz versprach. Das Germanicus Segestes einen Freifahrtschein ausgesprochen haben soll, nach dem man ihm zur gleichen Zeit die Beutestücke aus der Varusschlacht vorlegte, erscheint alles andere als glaubhaft zu sein. Wenn aber Segestes seine wohlfeilen Worte in dieser Aneinanderreihung gar nicht 15 + in seiner Burg, sondern erst 17 + in Rom von sich gab sei die Frage gestattet, wo und ob Germanicus seine gütigen Worte ausgesprochen haben soll, die ihn Tacitus 15 + in „Vogelbeck“ sagen ließ. Germanicus müsste dies wenn überhaupt, demnach in einer anderen Umgebung und unter anderen Umständen und Bedingungen getan haben. Aber was wäre eigentlich das normale Verhalten eines Mannes gewesen, der sich im Zuge einer ernsten Bedrohungslage plötzlich seinem Retter Germanicus gegenüber sah. In der Hektik im Frühjahr 15 + könnte sich Segestes nieder geworfen haben und sich auf Knien liegend oder auf Händen und Füßen stützend für seine Rettung bedankt haben. Aber nichts dergleichen ist überliefert. Mitnichten, er soll sogar Germanicus in imposanter und furchtloser Erscheinung gegenüber getreten sein was dann allerdings Angesichts seiner misslichen Lage befremdlich wirkt und erneut Zweifel an der Darstellung und Überlieferung aufkommen lässt. Hier spricht wieder vieles dafür, dass sich einst Segestes vor dem römischen Tribunal in gewohnter Manier in Positur warf um Eindruck zu schinden und Glaubwürdigkeit zu hinterlassen und dazu gehörte es auch seine Rettungsaktion in Vogelbeck würdevoll und nicht unterwürfig zur Schau zu stellen und es auf keinen Fall so aussehen zu lassen, als ob er dem römisches Volk etwas schuldig gewesen wäre. So wie es allerdings überliefert ist, müsste man eher auf die Idee kommen und im Nachhinein fragen, wer denn der Retter und wer der Gerettete in Germanien war. Fasst schon so, als ob es für Germanicus eine Ehre gewesen wäre, ihn retten zu dürfen. Ob Germanicus ihm die wohlwollende Zusage für sein weiteres Leben also schon oder noch in seiner Burg gab ist daher genauso unklar wie es strittig ist, dass Segestes in seiner hilflosen Lage noch imstande war derart markige Rechtfertigungssreden schwingen zu können. Und ob nicht auch Tacitus in dem gleichen Dilemma steckte wie hundert Jahre später Dio der im Wust seiner diversen Quellen nicht nur die Übersicht über die Abfolge verlor und sich daher bemühen musste, die nötige Plausibilität zu erzeugen, klingt ebenfalls nahe liegend. Denkbar ist auch, dass die an Segestes gerichteten tröstlichen Worte des Germanicus über seine Zukunft unter Umständen gar keinem Feldherrn zustanden, sondern nur einem Kaiser persönlich vorbehalten sind. Nur er entschied was mit Segestes zu geschehen hatte und machte und er hätte dies von seinen Aussagen in Rom abhängig gemacht. Dazu wäre es dann allerdings erst im Jahre 17 + gekommen und Germanicus hätte Segestes gegenüber in Germanien geschwiegen also gar nichts erwidert. Vielleicht war bei Tacitus in diesem Fall nicht Germanicus als Cäsar, sondern der Cäsar Tiberius gemeint, der Segestes wohlwollend entgegen kam, nach dem Segestes weisungsgemäß Varus die Alleinschuld gab. Dann vollzieht Tacitus hier ähnliches wie Dio es auch tat, denn er bricht den Fluß der Ereignisse unvermittelt ab und berichtet übergangslos über den Rückzug von Germanicus und die Titelverleihung eines Imperators an ihn durch Kaiser Tiberius. Ein erstaunliche Ehrung mit der Kaiser Tiberius möglicherweise bereits im Jahre 15 + den ersten Versuch startete Germanicus aus Germanien zurück zu ziehen. Hatte Segestes Mühe im Jahre 17 + seine nebulösen Handlungen vor der Varusschlacht des Jahres 9 + ins rechte Licht zu rücken, so beweist seine Rede in Rom die er möglicherweise mit den Fingern der rechten Hand wie zum Schwur nach oben gereckt verstärkte, dass ihm die gleiche Rechtfertigungsanstrengung auch für das Frühjahr 15 + bevor stand. Denn wie bereits im letzten Kapitel behandelt, sah er sich auch hier einem gewaltigen Überzeugungsdruck ausgesetzt dem er zu widerstehen hatte. Er beweist dies selbst, indem er in Rom im direkten Zusammenhang mit seiner Befreiung im Jahre 15 + auch noch mal an sein Verhalten im Jahre 9 + anknüpfte und darauf zu sprechen kommt. Ein Ereignis, dass zu diesem Zeitpunkt schon acht Jahre zurück lag. Er beruft sich darin unter anderem auf die „ominöse“ Warnung oder die Warnungen die er Varus in einer Nacht gegeben haben wollte. Eine Schutzbehauptung, zu der er sich gezwungen sah, sie auch noch nach so langer Zeit wieder aufleben lassen zu müssen oder zu der man ihn nötigte. Eine unüberprüfbare Aussage, denn für sie gab es bekanntlich keine Zeugen. Aber man kann sich gut in seine Lage im Jahr 17 + hinein versetzen, wie er schweißnass vor Angst im Verhörraum des Palatin saß und sich eine Ausrede nach der anderen dafür einfallen lassen musste, warum sich Varus damals von ihm nicht überzeugen ließ und warum seine Verwandten im Frühjahr 15 + in Vogelbeck möglicherweise sogar noch stolz die in der Varusschlacht erbeuteten Stücke dem Feldherrn Germanicus präsentierten. Und es soll sich dabei um einiges an zusammen getragenen „Erinnerungen“ gehandelt haben, dass viele der einstigen Kämpfer aus der Segestes Sippe sechs Jahre nach der Schlacht wie Trophäen immer noch in ihrem Besitz hatten bzw. benutzten wenn es Waffen waren. Und Segestes duldete, dass seine Angehörigen die Beweismittel für das unmittelbare Mitwirken seiner Sippe am Schlachtgeschehen vorzeigten und er dies nicht verhindern wollte oder konnte. So musste er auf seiner Bank darben, bis ihm das römische Verhörkommando endlich die goldene Brücke baute, damit er keine falschen Töne in seine Erklärungen einbauen konnte die der Kaiser nicht duldete. Blickt man zurück ins Schlachtgeschehen des Jahres 9 + , so könnte man sich bei alledem vorstellen, dass Segestes selbst wenn er auch nicht aktiv mit eingriff, so aber doch passiv und weniger auffällig in der Schlacht mitwirkte. Zumindest um zu wissen, wer am Ende der Sieger sein würde bzw. sich auch einen Anteil an der Beute sichern wollte, wie es nun Germanicus mit eigenen Augen sehen musste. Man könnte Segestes sogar zutrauen, dass er sich bei wechselndem Schlachtenglück noch rechtzeitig mit seinen Getreuen Varus angeschlossen hätte. Als guter Taktiker wird er sich politisch geschickt verhalten haben. Aber nun saß er auf der harten Bank einer unangenehmen Befragung die man geneigt ist mit dem Wort „hochnotpeinlich“ zu betiteln. Und die Kernfrage lautete wieder. Wie kamen die Waffen aus der Varusschlacht an die Wände seiner Burg in Vogelbeck und war er wirklich frei jeder Schuld. Man stelle sich vor ein Germancius der sich im zweiten Schlachtenjahr seiner drei Jahre andauernden Rachefeldzüge gegen die germanischen Stämme befand betritt die Burg eines hohen Germanenfürsten und das Erste was ihm ins Auge fällt sind Beutestücke aus eben jener Schlacht die er zu rächen nach Germanien aufgebrochen ist und die ihm noch dazu freiwillig vorgezeigt werden. Da dürfte Germanicus wohl in Segestes zuerst einmal eine Person gesehen haben, der er mit starken Zweifeln zu begegnen hatte. Segestes hatte die Wahl. Eine Einigung mit Arminius anzustreben um dann von ihm in weitere Schlachten gegen Rom hinein gezogen zu werden, was nach dem Zerwürfnis kaum vorstellbar war, oder sich von Germanicus gefangen nehmen zu lassen, in der Hoffnung damit auf die Karte des Stärkeren gesetzt zu haben um über diesen Umweg später einmal wieder seinen alten Platz in Germanien einnehmen zu können. Eine gute Strategie wenn man davon überzeugt ist, dass das Imperium am Ende der Sieger war. So entschied sich also für den zweiten Weg. Aber nun saß er immer noch in Schweiß gebadet in Rom und musste sich wegen der vorgefundenen Beutestücke auch wieder etwas zu seinem Verhalten im Jahre 9 + einfallen lassen. Und musste alles in die Waagschale werfen um es mit heiler Haut zu überstehen. Und in diesem Moment halte ich es auch für passend, dass sich Segestes zu seiner denkwürdigen Rede aufschwang in der er sich als treuer Römerfreund postulierte, so wie es Tacitus unter 1.58 (1 - 4) überlieferte. Aber Segestes fand nichts schlüssiges und kam daher nicht umhin wegen der Beutestücke auch Makel an seiner eigenen Familie eingestehen und zum Ausdruck bringen zu müssen. Und er musste ihnen die Schuld geben, denn er konnte schließlich nichts dafür, dass sie auf die Rhetorik eines Arminius herein fielen. So übte er sich in gespielter Demut und entschuldigte sich für alles. Es bleibt nun noch die Frage offen, warum die Legionäre des Germanicus überhaupt auf die Beute aus der Varusschlacht stoßen konnten. Hatte man sie nicht rechtzeitig vor ihnen verbergen können. Denn um sich damit zu brüsten, wäre dies der ungünstigste Zeitpunkt gewesen, den man sich vorstellen kann. Oder besser gesagt wäre es an Dummheit nicht mehr zu überbieten. Vermutlich stellten die Legionäre als sie die Segestes Burg betraten fest, das einige Germanen römische Waffen am Körper trugen, was ihr Interesse weckte und was sie auf weitere Dinge stießen ließ, die sich einst in römischen Besitz befanden. Und dafür gab es nur eine Erklärung, die Varusschlacht. Denn man sah es der Machart an und anders konnten die Teile auch gar nicht in die Hände ihrer neuen Besitzer gelangt sein. Alles wurde für Segestes zu einem Trauerspiel bei dem er schon mehrmals in seiner Vorstellungskraft das Ende seiner Tage auf sich zu kommen sah. Denn aus der Sicht des römischen Senats war Segestes alles andere als unschuldig. Zu Beginn stand auch seine Unterschrift auf dem Bündnisvertrag mit Rom, dann stand er Pate als dieser gebrochen wurde ohne etwas bewirkt zu haben. Lebte sechs Jahre im Einvernehmen mit den Varusmördern. Ließ es zu, dass der größte Widersacher Roms seine Tochter schwängerte und verwahrte in ehrendem Gedenken an den Sieg die römischen Waffen der Varusschlacht in seinem Haus. Rom erwies ihm wohl mehr Gnade als Recht aber er hatte die wesentlichen Fürsprecher auf seiner Seite, Germanicus der ihn für den Triumphzug brauchte und Kaiser Tiberius für den er ein alter Bekannter und daher auch ein Mitwisser war. Und so schob der ihn auch nach Gallien ab, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte.Wie lange er dort lebte oder dort überleben durfte ist nicht überliefert.(11.05.2020)

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