Samstag, 30. Mai 2020
Segestes entführt uns in seine Zeit
Und so nimmt er uns symbolisch an seine Hand, als ob er sagen wollte, dass wir nicht alles glauben sollten, was die Römer damals über unsere Vorfahren zu Papier brachten. Segestes musste es wissen, denn in das Räderwerk der germanischen Verteidigungskriege und das was sich damals im Osten Westgermaniens zwischen dem Herbst 9 + und dem Frühjahr 15 + ereignete war außer Arminius keiner so tief verstrickt wie er. Dadurch lassen sich auch nur mit seiner Hilfe weitere Türen in eine spannende Epoche früher deutscher Vorzeit öffnen. Dank unseres historischen Wissens über seine Person ist uns bekannt, dass er im alten Germanien eine zentrale Rolle spielte. Und so ist es unabdingbar seinem vermeintlichen Rat oder ungeschriebenen Vermächtnis zu folgen nicht alles so bedenkenlos hinzunehmen, was uns die antiken Historiker seit Publius Ovidus Naso bis zu Lucius Cassius Dio hinterließen. Und indem man die gesamte Glaubwürdigkeit all der Überlieferungen jener Zeit in Frage stellt und sie hinterfragt, um so mehr erscheinen für uns die Ereignisse vor und nach der Varusschlacht in einem anderen Licht. So lassen sich weitere Ungereimtheiten aufdecken die darauf hindeuten, dass die antiken Historiker sich nicht der unerschütterlichen Wahrheit verpflichtet sahen und erst recht nicht darauf fixiert waren, sich an der Realität bedienen zu wollen. Segestes entsprach so weit wir es überschauen können, sicherlich nicht unseren Idealen die wir von einem ehrenvollen Germanen in uns tragen, aber es könnte so aussehen, als ob man ihn zumindest des Verrats im Jahre 9 + frei sprechen könnte. Aber mit seinem im Jahre 15 + vor über 2000 Jahren eingefädelten Strategiewechsel hat er uns überfordert, da wir von unseren Ahnen eine derartige Intrigengewandtheit nicht erwartet hätten. Sozusagen ein Lehrstück für die prähistorische Mentalitätsforschung in Germanien. In Verbindung mit seinem Varusschlachtgebaren komplettiert es unsere Vorstellungen die wir uns über ihn gemacht haben. Dadurch erscheint auch Varus nicht mehr der unfähige Feldherrn zu sein, den viele in ihm sahen, aber dafür ist es zulässig und wir dürfen wiederum in Arminius einen klugen Strategen erkennen ohne dabei schief angesehen zu werden. Immerhin triumphierte er letztlich über seinen Rivalen aus „Vogelbeck“ was seine Überlegenheit zum Ausdruck bringt. Doch sollte man trotzdem einer tendenziös erscheinenden neuerlich veränderten Sichtweise auf die Varusschlacht mit einer gebotenen Vorsicht begegnen. Die neue Unruhe zuviel nationales Gedankengut in die Varusschlacht implementieren zu wollen wirkt so, als wolle man Blütenbildung im Wurzelbereich deutscher Urgeschichte möglich machen und damit die Realität verdrehen. Zweifellos deuten alle Recherchen und Indizien daraufhin, dass auf römischer Seite im Jahre 9 + anlässlich der Varusschlacht weitaus weniger Legionäre standen, als man es aus den Zahlen von Paterculus ableiten möchte, aber der Varusschlacht den Nimbus eines Wendepunktes verweigern oder absprechen zu wollen greift in die falsche Richtung. Begründet wird dies mit dem Hinweis auf die stolzen Leistungen die Arminius im Zuge der darauf folgenden weitaus umfangreicheren Germanicus Schlachten vollbrachte und die sein wahres Verdienst darstellen. Um es aber kurz zu machen nur ein Satz dazu und der lautet schlicht und einfach. Das es ohne die Varusschlacht auch keine Germanicus Feldzüge gegeben hätte, womit der kleine Exkurs auch schon beendet ist. Nun aber geht die Suche nach weiteren Ungereimtheiten die in der Person des Segestes und seinem Umfeld verborgen liegen weiter und es geht dazu wieder weit zurück bis ins Frühjahr 15 + und in den Mai des Jahres 17 + als Tiberius seinen, wie es scheint einstigen Gegenspieler Germanicus mit einem spektakulären Triumphzug mehr oder weniger in den Ruhestand verabschiedete. Nun trafen beide in Italien wieder aufeinander. Dort, wo das hektische Treiben in der lärmenden Metropole der hundert Sprachen nicht mit den feuchtkalten Wäldern und den verstreut liegenden Behausungen in Germanien vergleichbar ist und wo man noch im diffusen Licht aus den Runen las, ganz so wie wir es uns gerne vorstellen möchten. Germanicus den alle Büsten immer gut rasiert zeigen hatte in der Hauptstadt anders aufzutreten und glänzte nicht mehr ganz so hell wie einst als gefürchteter Feldherr im Barbaricum, wo man ihn vielleicht nur mit Bart kannte. Kaiser Augustus wollte mit Unterstützung seines Feldherrn Germanicus den er 13 + an die Niederrhein Front beorderte vermutlich zwei Ziele erreichen. Seine alten Pläne zur Provinzialisierung Ostgermaniens wieder aufleben lassen und endlich die überfälligen Strafmaßnahmen an den Vertragsbrechern vollziehen. Und wie befohlen begann Germanicus schon im Jahre 14 + den Versuch der Wiedereroberung. Zwei Jahre nach dem Tod von Kaiser Augustus der im Jahr 14 +, dem Monat der seinen Namen trägt verstarb, wendete sich das Blatt, denn Tiberius rief den Feldherrn Germanicus im Jahre 16 + wegen Erfolglosigkeit ab. Es ist müssig zu spekulieren ob ein noch lebender Kaiser Augustus anders entschieden hätte. Aber ein Schlachtenlenker der drei Jahre teils unter rauen Bedingungen im Feld stand musste sich im Rom des Jahres 17 + wie auf verlorenem Posten gefühlt haben und bewegte sich dementsprechend auf ungewohntem Terrain. Glattes Parkett trifft es wohl besser. Denn der neue Kaiser hieß nun Tiberius und Germanicus stand jetzt im Schatten eines Mannes mit dem er einst gemeinsam kämpfte, der seine Stärken, vor allem aber seine Schwachstellen bestens kannte. Hier musste er passiver und kleinlauter in Erscheinung treten, nach dem er aus Germanien krass ausgedrückt von Tiberius zurück gepfiffen wurde und seine Uhr abzulaufen begann. Und so war er auch für Segestes nicht mehr der durchsetzungsfähige Mann von einst, wie er ihn im Frühjahr 15 + in Germanien kennen gelernt hatte, als alle noch auf ein glorreiches Ende seiner Feldzüge gehofft hatten. Die Zeiten hatten sich spätestens zum Zeitpunkt des Triumphzuges 17 + gravierend verändert und Segestes sah sich nun ähnlich wie Germanicus in einer angeschlagenen Position wieder. So tat er vielleicht gut daran zu Germanicus fortan auf Distanz zu gehen. Denn die Nähe zu dem im Sinken begriffenen Stern des Germanicus zu suchen barg Gefahren in sich. Hatte Germanicus wie in früheren Zeiten noch seinen gönnerhaften Schutzschirm über Segestes aufgespannt als er ihn noch brauchen konnte, so könnte er diesen nun zurück gezogen haben. Denn in ihm sah er jetzt nur noch ein notwendiges Übel, ein Relikt aus seiner wenig schmeichelhaften Vergangenheit und ein Mittel zum Zweck, da er seine Aufgabe nach dem Triumphzug erfüllt hatte. Segestes könnte dies insofern recht gewesen sein, denn er nutzte es als Freiraum für seinen Kampf um Reputation. Was wir über Segestes wissen verdanken wir nahezu ausschließlich Tacitus, den rund hundert Jahre von Segestes trennten. Und die Quellen aus denen er sein Wissen schöpfte blieben bis heute unbekannt, da sich beide nie begegnen konnten. Aber seinen wohl in den Jahren 98 + bis 117 + entstandenen Aufzeichnungen lässt sich schon mehr entnehmen als das wenige, was damals Strabo über Segestes hinterließ. Denn Tacitus lagen die Texte darüber vor, was Segestes im Jahre 17 + in Rom über die Lippen kam und was sich daher nur auf seinen urpersönlichen Wissenstand zurück führen lässt. Aber was wir auch erkennen können waren Dinge, die die Welt der Historik gar nicht so gerne mag. Denn Tacitus schien die Angaben von Segestes in einigen Passagen komplettiert, ergänzt und etwas abgerundet zu haben. Da Tacitus auf die wichtige Reputationsrede des Segestes Bezug nehmen konnte, war er gegenüber Strabo im Vorteil, der den wortwörtlichen Inhalt nicht kannte, genau genommen ihn nicht erwähnte, falls er ihn bereits gewusst haben sollte. So war Tacitus, da er diese Details kannte schon einen Schritt weiter als Strabo. Denn Strabo beschrieb die Rettung von Segestes im Frühjahr 15 + nur unter der Verwendung eines einzigen Hinweises mit den Worten, dass sich Segestes eine „günstige Gelegenheit“ bot. Gemeint war damit die geschilderte Rettung durch Germanicus aus der Umklammerung feindlicher Belagerer die noch dazu aus dem eigenen Volk stammten. So schien es bei genauer Betrachtung demnach nur diesem einen Zufall zu verdanken gewesen zu sein, dass der Römerfeldherr auf seinem Rückzug ausgerechnet in dem Moment unweit der Segestesburg weilte, als seine Burg von gegnerischen Kräften bedroht wurde. Folglich wäre die Rettungsaktion andererseits geplatzt. Cherusker die in Kriegszeiten nichts anderes zu tun hatten, als eine andere cheruskische Festung zu erobern bzw. ein Cheruskerfürst Namens Arminius der in diesen kritischen Zeiten seine Kräfte aufspaltete, während noch vor nicht all zu langer Zeit römische Legionäre die Fürstensitze und Heimstätten benachbarter Völker wie die der Chatten in Schutt und Asche legten steht im Kontrast zur damaligen Gefahrenlage. Und dies zudem noch in einer Zeit als Arminius sogar cheruskische Heerhaufen aufstellte um eben jenen Chatten zu Hilfe zu kommen. Man rekapituliere. Da wird also unweit südlich des cheruskischen Territoriums ein befreundetes Nachbarvolk vom Feind angegriffen welches man unterstützen will, ist aber gleichzeitig damit beschäftigt die Burg eines anderen Cheruskerfüsten zu belagern um angeblich eine Fürstentochter zu befreien. Nun können wir unseren Vorfahren zweifellos grenzenlose Rauflust unterstellen oder zutrauen, aber hier scheinen zwei Abläufe nicht zusammen gehen zu wollen und an Zufälle glaubt man auch nicht gerne. Man muss sich also einen Reim darauf machen wie ein cheruskischer Heerhaufen in den Krieg gegen Rom zieht und parallel dazu ein anderer die Burg eines verfeindetet Cheruskerfürsten belagert haben soll. Allemal eine Gemengelage die unsere Phantasie beflügelt und uns gleichzeitig Rätsel aufgibt. Und wie das Glück so spielt, bot sich dann justament in dieser Phase Segestes die einmalige Chance zum Übertritt ins römische Lager. Gleichsam einem Fenster, das nur kurze Zeit geöffnet stand und was er spontan nutzen musste, um diesen einen günstigen Moment nicht verstreichen zu lassen. Und da kann man sich die Frage stellen, was aus der Segestesfamilie geworden wäre, wenn Germanicus seine Hilfe verweigert hätte. So darf man dann wie auch im Falle der Varusschlacht annehmen, dass sich in diesem Fall Segestes wieder einmal hätte „hinein ziehen“ lassen, nur dieses Mal in die Schlachten des Germanicus. Tacitus kannte gegenüber Strabo den Inhalt der von Segestes schwungvoll gehaltenen Verteidigungsrede und wusste daher rund hundert Jahre nach Strabo auch schon einiges mehr und konnte über zusätzliche Details der Rettungsaktion des Jahres 15 + berichten. Denn dank Tacitus lässt sich nun dieser einsam im Raum stehende Hinweis von Strabo auf diese alles entscheidende sich bietende „günstige Gelegenheit“ relativieren und präzisieren. Und Tacitus konnte es mit den lateinischen Worten „auxilium orantes“ komplettieren die besagen, dass man Germanicus „um Hilfe“ bat. Ein Geschenk des Himmels in Gestalt des Germanicus der Segestes 15 + den Absprung erleichterte, als sich dieser urplötzlich in der Großregion aufhielt und das er nur nutzen brauchte um sein Glück am Schopf zu greifen. Allerdings musste Segestes vorher noch einen Köder auslegen, sonst hätte Germanicus sich vermutlich die Frage gestellt, warum sich Segestes nicht mit seiner ganzen Familie samt Freundeskreis selbst auf`s Pferd gesetzt hätte um sich eigenständig zu ihm aufzumachen. Es bedurfte also eines plausiblen Rettungsgrundes. Denn Segestes durfte und wollte es nicht wie eine Flucht aus Germanien, sondern wie eine Rettung aussehen lassen, denn Germanicus hätte Segestes im ungünstigen Fall auch gefangen nehmen können. Segimund schickte er daher vor um Germanicus gütig zu stimmen, was ihm auch gelang. Der schilderte dann dramatisch die cheruskische Kämpfer im Umfeld seiner Burg, die er als feindliche Umklammerung titulierte, aus der er sich selbst nicht mehr befreien konnte und seine Hilfe brauchte. Aber Segestes wollte letztlich nicht nur von Germanicus befreit werden, denn sein Ziel war der damit verbundene freiwillige Übertritt ins römische Imperium. Dies war seine wahre Absicht die er hinter der Belagerung verbarg, denn ein Germanicus der ihn nur befreit hätte um dann nach der erfolgreichen Befreiung wieder davon zu reiten lag weder in der Absicht von Germanicus noch in der des Segestes. Sich den Römern anzuschließen war für ihn auch nicht gleichbedeutend damit, dass er nun seine Heimat für immer aufgeben wollte. Im Zuge der militärischen Zuspitzung in Land und Region wird sich Segestes schon länger mit dem Gedanken beschäftigt haben die Seiten zu wechseln, lediglich der richtige Zeitpunkt dafür hatte sich noch nicht eingestellt. Aber zur Erfüllung seines Plans war es nötig Germanicus gegenüber seine volle Loyalität zu Rom unter Beweis stellen und wollte nicht in den Verdacht geraten mit zu jenen Cheruskern zu zählen und gemeinsame Sache zu machen die sich Germanicus gemeinsam mit den Chatten entgegen stellen wollten. Denn er spekulierte dieser Theorie folgend auf den späteren römischen Endsieg in den Germanenkriegen. So nannte er im Zuge dieses aus der günstigen Situation heraus geborenen spontanen Entschlusses als Grund, dass seine Festung belagert werde. Und damit stellte er klar auf welcher Seite er stand und machte sich zum Komplizen und Kampfgenossen von Germanicus im Kampf gegen die Arminen. Die Befreiung durch Germanicus und seine römischen Legionen feierte er für alle sichtbar wie einen Schulterschluss mit der zu erwartenden späteren Siegermacht. Er band sich damit an Rom und erwartete im Gegenzug, dass man ihn in Bälde dem neu zu ernennenden römischen Prokonsul als zuverlässigen Cheruskerfürst an die Seite stellen würde und dies dürfte sich auch mit den Plänen von Germanicus gedeckt haben. So nutzte Germanicus die Gunst der Stunde, denn mit Segestes an der Spitze der Cherusker konnte man sicher sein, dass es zu keiner Neuauflage der Varusschlacht kommen würde. Nun bewegte sich Germanicus etwa in Tages ritt Reichweite zu Segestes, konnte und wollte ihm also den Wunsch erfüllen dafür zu sorgen, dass ihm ein sicheres Geleit hinter die römischen Linien garantiert werden kann. Somit hätte Segestes sein Ziel erreicht. Dem ehrgeizigen Germanen wurde der Schutz des Imperiums zuteil und Germanicus ebnete ihm den Weg wie für einen gleichrangigen würdevollen Partner auf angemessene Weise. In dieser Stunde konnte einschließlich Kaiser Tiberius niemand ahnen, dass alle Träume schon nach wenigen Jahren ihr Ende finden würden. Und ob es diese Belagerung gab ­oder ob Segestes sie erfand darf angezweifelt werden. Und natürlich war die in Zweifel zu ziehende Belagerung nicht der Grund aus dem Segestes für immer sein angestammtes Hoheitsgebiet verließ und seinem Stamm abtrünnig wurde, dem seine Sippe wohl schon seit vielen Generationen vorstand. Und da darf bzw. muss man ihm wohl auch die Absicht unterstellen dürfen, dass es nicht sein Ziel war diese alte Machtvollkommenheit für immer aus der Hand zu geben, sondern wollte sie sich wenn die Kriege vorüber waren zu einem geeigneten Zeitpunkt mit Hilfe Roms wieder holen. So darf man schlussfolgern, dass seine Taktik darin bestand Germanicus eine Notlage vorzutäuschen um sich auf diese Weise vorüber gehend ins römische Asyl zu begeben bis die Zeit für seine Rückkehr reif war. Das eröffnet ein weiteres Feld um neue Zweifel an allen Aussagen zu begründen die von Segestes überliefert sind. Denn die Eigennützigkeit war immer die Antriebskraft seines Handelns und wenn Arminius in dessen Schatten er stand der große Stratege war, so war er der nicht weniger große aber zielbewusste Taktierer. Das man in Germanien auch Fürsten mit Roms Gnaden als Oberhäupter akzeptierte die lange außer Landes waren zeigt die Einsetzung von Italicus dem Sohn des Arminius Bruders Flavus dreißig Jahre nach dem Triumphzug im Jahre 47 +. So kann man davon ausgehen, dass man auch Segestes wieder in seinem Stamm aufgenommen hätte. Tacitus konnte aus der Distanz heraus über die Beweggründe des Segestes im Jahre 15 + also schon ausführlicher berichten als Strabo rund hundert Jahre zuvor. Aber alles entwickelte sich nun anders, als es sich Segestes erdacht hatte. Segestes musste, wollte er sich gegenüber dem Tribunal als Römerfreund ausweisen mehr liefern als nur die „günstige Gelegenheit“ wie es Strabo formulierte als Grund für seine Flucht nennen. Denn dies allein dürfte dem Tribunal nicht gereicht haben um ihm die Absolution auszusprechen sich keines Vergehens gegen Rom schuldig gemacht zu haben. Nämlich die dürftige Erklärung, Germanicus nur deswegen um Rettung gebeten zu haben, weil der sich gerade zufällig in einer gewissen Nähe zu ihm aufhielt. Ein kurz entschlossenes Handeln oder spontanes Aufflackern einer vielleicht auch übereilt getroffenen Ad hoc Entscheidung macht aus einem Cherusker keinen Römerfreund und wird die Herren in Rom nicht überzeugt haben. So musste sich Segestes im Zusammenhang mit seiner Rettung 15 + noch etwas Hass schürendes gegen Arminius einfallen lassen. Es ist auch nicht abwegig anzunehmen, dass er seinen Entschluss später bedauert haben könnte, nachdem Germanicus der sicher geglaubte Sieg über die Arminen misslang und sich Segestes statt als neues Oberhaupt der Cherusker zu sehen nun machtlos in Rom wieder fand. Das die erhoffte pompöse Rückkehr nach Ostgermanien als Fürst von römischen Gnaden vermutlich Teil seiner Strategie war, sich retten zu lassen, durfte er daher in Rom auch nicht zum Thema machen. So musste sich zu alledem Segestes auch noch für seine späte Entscheidung die Fronten zu wechseln rechtfertigen, denn er hätte sich auch schon Monate und sogar Jahre vor dem Frühjahr 15 + von den rivalisierenden Cheruskern absondern und distanzieren und sich hinter den Rhein ins imperiale Hoheitsgebiet zurück ziehen können. Das er dafür sechs lange Jahre keinerlei Notwendigkeit sah, wollte ebenfalls gut begründet sein. Also musste er in Rom noch mehr sinnhafte Würze hinzu geben, um den Schritt ins Römische Reich glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Und dazu brachte er eine fiktive Notlage ins Spiel. Nämlich eine Bedrohung durch die Männer des Arminius ausgelöst durch die Anwesenheit seiner schwangeren Tochter Thusnelda in seiner Burg. Ein durchdachter Plan mit guten Erfolgsaussichten. Verschärft und rhetorisch im Jahr 17 + gut inszeniert wurde daraus sein Königsweg zur Erlangung der Glaubwürdigkeit zu seinem Verhalten im Jahre 15 +. Und so beschrieb es uns dann auch nichts ahnend Tacitus, denn so las es sich für ihn auch in seinen Vorlagen, so schrieb er es ab und warum hätte er daran zweifeln sollen. Sein Vorstellungsvermögen auf Basis der Worte von Segestes nur hundert Jahre nach den Ereignissen reichte ihm dazu vollkommen aus. Und auch wir können uns heutzutage immer noch genauso gut in die Geschehnisse hinein denken wie es einst auch Tacitus aus nahe liegenden Gründen tat. Denn ihm lag schließlich das vor, was man auch eine Zeugenaussage nennen könnte. Worte die danach klingen, wie dankbar und trotzdem immer noch imposant einst Segestes möglicherweise im Eingangstor seiner Wallburg stehend Germanicus mit offenen Armen empfing und sich für sein Kommen bedankte. Aber wie zuverlässig waren die Angaben auf die sich Tacitus stützte und vor allem wie zuverlässig war er selbst. Denn auch schon damals bestand die Welt nicht nur aus schwarz und weiß. (30.05.2020)

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