Freitag, 6. November 2020
Der Verrat des Segestes - Legte schon Paterculus die falsche Fährte der Tacitus, Florus und Dio folgten
Segestes war eine der Schlüsselfiguren zur Varusschlacht. Seine an Varus ergangene Warnung für die die Historie keine Zeugen nennt, die die Varusschlacht überlebten, ihr also die Beweiskraft genommen ist, soll von Varus nicht ernst genommen und abgetan worden sein. Die Nichtbeachtung durch ihn soll dann wiederum maßgeblich zu seiner Niederlage beigetragen haben. Die Person Segestes, der als der Urheber dieser letztlich nie beweisbaren, also möglicherweise auch nie ausgesprochenen Warnung in die Geschichte einging wurde damit zum Mysterium. In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden wie es die Historiker nach Strabo mit Segestes hielten. Also Paterculus, Tacitus, Florus und Dio. Denn diese vier hatten sich über Segestes und seine ominöse Warnung geäußert. Was schrieben sie also darüber, was glaubten sie selbst, was wussten sie und woher könnten sie es erfahren haben, was sie zu Papier brachten. Hatte Segestes nun Varus gewarnt oder täuschte er die Warnung 17 + nur gegenüber jenen in Rom vor, die er davon überzeugen musste. So könnten seine Äußerungen bei diesem denkbaren Verhör zwar der Wahrheit entsprochen haben, so wie es auch der offiziellen Lesart entspricht, aber sein Verrat an den Germanen bzw. die an Varus ergangene Warnung wurde damit nicht glaubwürdiger. Aber da gibt es noch eine weitere Theorie. Nämlich die, dass ihm seine Aussagen von der späteren Historie nur in den Mund gelegt wurden, er sie aber nie von sich gab. Ein solcher Schachzug ließe sich im politischen Sinne auslegen und man konnte es gegen den in Rom verhassten Varus verwenden. Es demnach also weder eine Warnung 9 +, noch ein Gespräch mit den Sekretären des Kaisers 17 + in Rom über sein damaliges Verhalten gab. Schieben wir aber diesen Verdacht beiseite und folgen zunächst der Spur der offiziellen Lesart, so wie wir es alle vorgesetzt bekamen nämlich in Segestes den Warner als auch den Verräter zu sehen. Dann mag Segestes sich in Rom in der Rolle eines Mannes gesehen und präsentiert ja schon fasst gesonnt haben, der Varus noch hätte das Leben retten können, wenn dieser nicht so uneinsichtig gewesen wäre und auf ihn gehört hätte. Segestes hatte demnach nicht nur sein Schicksal in der Hand gehabt, sondern auch noch das der drei römischen Legionen. Ein Germane wäre dann der Mann gewesen, der dem Imperium die Niederlage hätte ersparen können, hätte er damals doch nur die richtigen Worte gefunden und wäre es ihm gelungen Varus von der drohenden Gefahr zu überzeugen. Wer wollte in Rom auch schon einen solchen Mann Lügen strafen. So weit die allgemein bekannte historische Grundlage wie wir sie jedem Geschichtsbuch entnehmen können. Letztlich erscheint sie uns aber wie eine kaum zu glaubende und schwer verdauliche Anekdote. Würden wir doch vielen Sagen des Mittelalters nur halb soviel Glauben schenken wie dieser um 1000 Jahre älteren „segestinischen Schenkung“. So sollte man die Warnung des Segestes zumindest genauso in Zweifel ziehen, wie man es auch mit diesen alten Überlieferungen hält. Aber offensichtlich genießen die antiken Historiker trotz ihrer widersprüchlichen Angaben über Segestes einen besseren Ruf und erscheinen glaubwürdiger, als die 1000 Jahre jüngeren Erzählungen aus der Edda oder über die Nibelungen. Allesamt hochtrabende Worte von Verrat, Tod und Untergang, aber die Historie hat sie uns so in den Mund gelegt. Hatte Segestes also letztlich die Welt nur getäuscht wofür es begründete Annahmen gibt und Varus wurde gar nicht von ihm gewarnt, dann hätte er auch die Germanen nicht verraten. Denn beides geht miteinander einher. Warnung und Verrat zu gleichen Teilen. Varus verlor allerdings nicht nur die Schlacht wie man weiß, sondern er überlebte sie auch nicht. Vielleicht gerade deswegen oder auch trotzdem, man darf es drehen und wenden. So ist dies zu einem gewichtigen Teil unseres Wissensstandes und zu unserer Ausgangslage geworden, denn hätte Segestes den Feldherrn nicht gewarnt, würde es auch seine Niederlage erklären helfen und somit verständlicher machen. Aber was können uns dazu nun die vier antiken Historiker berichten, woraus wir das, was wir heute unseren Kenntnisstand nennen, ableiten können. Wir können uns vorstellen und wissen es auch zum Teil, dass das Bekanntwerden der Varusniederlage in Rom zu einer kurzzeitigen Panik geführt hat, sie mündete in eine Depression und löste eine gewisse Schockstarre vor einer ungewissen Zukunft aus. Das Desaster und die aufkommende Angst vor den nordischen Nachbarn hinterließ seine Spuren aus denen sich über die Jahrhunderte hinweg das bekannte italienische Volkstrauma entwickelt hat, dass sich bis in den Aberglauben steigerte. Man kann dies die Anfangs- oder Aufbruchphase nach der Demütigung nennen. Im Zuge der daran ansschliessenden Phase II begann man die Dramatik und das Ausmaß zu erfassen und aufzuarbeiten, man zog erste Konsequenzen, wir finden frühe schriftliche Zeugnisse darüber und die Stimmung begann sich langsam wieder aufzuhellen. Es waren die ersten greifbaren Bezugsquellen besser gesagt Erwähnungen und sie stammen von Ovid und Manilius. Aus dem Kaiserhaus ist uns aus dieser Zeit nichts bekannt geworden, denn Tiberius schwieg über Segestes. Sowohl Ovid als auch Manilius versuchten das Geschehene auf ihre Weise und in ihrem Sinne zu verarbeiten. Zu diesen zwei Männern der ersten Stunden, denn Historiker kann man sie nicht nennen, gesellte sich nach 17 + noch der Geograph Strabo hinzu. Alle drei vereint, dass keiner von ihnen berichtete, dass Segestes den Feldherrn vor der Varusschlacht gewarnt haben soll. Dies änderte sich erst im Zuge einer Phase III. Denn damit hob sich der Vorhang für jene antiken Historiker die über das unbewiesene Verhalten von Segestes informiert waren. Und unter ihnen gab es nur einen Mann der nämlich anders als Tacitus, Florus und Dio dem Geschehen am nächsten Stand und schon fasst hautnah dabei war. Es war Velleius Paterculus der als erster erwähnte, dass Varus von Segestes gewarnt worden sein soll. Er war ein dem Kaiser Tiberius nahestehender Offizier und Kampfgenosse aus schweren Zeiten, ein Mensch der Zeitgeschichte, obwohl er nicht in Germanien weilte, als dort die Varusschlacht tobte. Und gerade auf ihn bezogen muss daher die Fragestellung gelten, wann er sein Wissen über die Taten des Segestes verschriftete. Denn in ihm ließe sich die Urquelle von alledem ausmachen, was wir hinsichtlich der Warnung von Segestes erfahren haben. Daher fällt der Frage wie Paterculus es erfahren haben könnte auch eine besondere Bedeutung zu. So lässt die seltsame Gemengelage in jener Zeit wie bereits dargestellt auch den Verdacht aufkommen, dass Segestes die Warnung nie über die Lippen ging. Und ebenso, dass er sich darüber auch nie einem Tribunal gegenüber zu verantworten hatte bzw. stellen musste. Denn man könnte ihm seine warnenden Worte auch als ein Mittel der Intrige später in den Mund geschoben haben um das Versagen von Varus zusätzlich unumstößlich zu machen. Und auf wen wenn nicht Paterculus würde dieser Verdacht fallen, da er der erste war, der über die Warnung des Segestes berichtete. Aber wie hatte sich Paterculus einst geäußert. Von ihm ist überliefert, dass er gemäß Absatz 2,118.(4) sagte, die Verschwörung wäre von Segestes gegenüber Varus aufgedeckt worden und das nach der ersten an Varus ergangenen Warnung, keine Zeit mehr für eine zweite geblieben sei. Auch hier klingt doch unüberhörbar die Stimme der Eigeninterpretation heraus. Denn wie wollte es Paterculus denn ermessen haben, dass damals die Zeit für eine zweite Warnung nicht mehr gereicht haben soll. Wer wollte es ihm gesagt haben oder wo sollte er es abgeschrieben haben. Viel mehr könnte es ihm auch nur so erschienen sein, als wäre es damals so gewesen. So schwingt etwas ultimativ Endgültiges in seinen Worten mit, wodurch auch seine ganze Überlieferung in den Verdacht gerät nur auf vermeintlichen Tatsachen zu basieren. Müssen wir also sogar schon die Urquelle Paterculus in Zweifel ziehen, wenn wir dem Sachverhalt auf die Spur kommen wollen. Und müssten wir damit sogar den eigentlichen Urheber Segestes aus germanischer Sicht völlig frei sprechen, jemals einen Sterbenslaut gegenüber Varus gesagt zu haben. Doch wo könnte das Motiv gelegen haben. Paterculus den man sogar als einen Freund von Tiberius bezeichnen könnte, wollte möglicherweise jegliche Mitschuld des Kaisers am Untergang der drei Legionen ersticken und je mehr man Varus anhängen konnte um so unbescholtener blieb Tiberius vor dem Senat und der Öffentlichkeit. Denn die Ereignisse vor der Varusschlacht verdeutlichen, dass er nicht völlig unschuldig am Desaster war. Und was hätte schlimmer sein können als das Gerücht, Tiberius habe die Varusniederlage mit zu verantworten gehabt ja vielleicht sogar herbei geführt. Als Paterculus es nieder schrieb saß Tiberius noch auf dem Kaiserthron, den er bis 37 + inne hatte. Aber den ungefähren Zeitpunkt seiner Niederschrift können wir nur rekonstruieren. Man hängt es an einer geschichtlichen Begebenheit besser gesagt einer Person auf. Dies war der einflussreiche Prätorianerpräfekt Sejan. Ein Mann der lange in gutem Einvernehmen mit Kaiser Tiberius handelte bevor man ihn, die Gründe dafür liegen im Dunklen, 31 + hinrichtete. Man darf annehmen, dass die Hinrichtung im Sinne von Tiberius oder möglicherweise auch auf seine Anweisung hin geschah, denn er war ihm zu einflussreich geworden und soll sich Dinge angemaßt haben, die ihm nicht zustanden. Paterculus stand zu Tiberius der sich bis zu diesem Vorfall positiv über Sejan geäußert hatte. Man kann daraus schließen, dass sich Paterculus von dem Moment an von Sejan abwendete, als Kaiser Tiberius dem Präfekten Sejan fallen ließ und ihm seine Gunst entzog. Da man bis etwa 30 + kein Zerwürfnis zwischen Tiberius und Sejan feststellen kann, behielt Paterculus seine gute Meinung über Sejan bis in diese Zeit hinein aufrecht. Erst als man Sejan 31 + hinrichtete endeten zwangsläufig auch seine Sympathien für ihn. Danach zu urteilen müsste Paterculus, da er Sejan noch in guten Zeiten bzw. zu Lebzeiten begegnete, seine „Historia Romana“ vor 31 +, dem Jahr seiner Hinrichtung vollendet haben. Ein umfängliches Werk was uns von Paterculus in zwei Teilen erhalten blieb. Man geht nicht davon aus, dass er den auf die Varusschlacht bezogenen Schlußteil schon vor dem Jahr 30 + zu Papier brachte, sodass bereits viel Zeit zwischen einem noch lebenden Varus und der Paterculus Überlieferung verstrichen ist. Sicherlich waren es turbulente und ereignisreiche 21 Jahre. Eine Zeitspanne in der Paterculus sein Wissen, also auch das über Segestes aus unterschiedlichen Quellen gespeist haben könnte. Er könnte es aber auch wie dargestellt im Sinne seines Kaisers verfälscht haben. Etwa dreizehn Jahre bevor Paterculus schrieb, saß Segestes im Jahre 17 + noch mit auf der Tribüne des zu Ehren von Germanicus veranstalteten Triumphzuges. Geht man wieder zurück auf den Stand unseres Schulwissens, dann fand sich anlässlich dieser spektakulären Darbietung sicherlich auch ausreichend Gelegenheit für Segestes um seine Sicht von den Geschehnissen, wie sie sich vor der Varusschlacht zutrugen in seinem Sinne in Rom kund tun zu können bzw. er wurde danach befragt. Der Haupttheorie folgend und einmal abgesehen von einer möglichen Einflussnahme durch Paterculus wurde Segestes nach seinem Erscheinen in Rom, vermutlich im Frühjahr 17 + zu den Vorgängen vor der Varusschlacht befragt und berichtete darüber mit Worten die er mit viel bedacht gewählt hatte, dennoch muss seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden, denn bekanntlich hatte Segestes für seine Version keine Zeugen mehr zu befürchten. So konnte er frei und forsch auftreten und musste lediglich überzeugend genug auf die römischen Beamten einwirken. Was ihm offensichtlich gelang. So kann man natürlich auch annehmen, dass sich auch Paterculus auf eben diese Befragung gestützt hatte und die Protokolle und das Wissen darüber wurde mangels anderer authentischer Berichte auch zur Grundlage seiner eigenen Überlieferung, so wie wir es in seiner „Historia Romana“ nachlesen können. Dann hätte sich Paterculus natürlich keiner Geschichtsverfälschung schuldig gemacht. Man muss also der Gerechtigkeit wegen in Erwägung ziehen, dass Paterculus der erste Historiker war, der Segestes bzw. seinen Verlautbarungen aufsaß oder dem Gesagten mangels besseren Wissens glauben schenkte. Somit wurde auch die Person des Paterculus zu einer Quelle für andere Historiker die seine Darstellung aufgriffen, da sie sie für zuverlässig hielten. Denn Paterculus genoss im alten Rom einen tadellosen Ruf. Auf Paterculus der 31 + verstarb, folgte für lange Zeit kein antiker Historiker mehr, der sich mit der Warnung des Segestes befasste. Erst später kamen Florus, Tacitus und Dio hinzu, die dann gemeinsam mit Paterculus den erweiterten Historikerkreis innerhalb der Phase III bildeten. Sueton war nicht unter ihnen, da er sich nicht mit der Person des Segestes beschäftigt hatte bzw. uns nichts dazu überliefert ist. Tacitus, Florus und Dio betraten lange nach Paterculus die Welt der Geschichtsschreibung und bestätigten in ihren Berichten ebenfalls, dass Segestes den Feldherrn auf die Gefahr eines Aufstandes hingewiesen haben soll. Alle konnten sie auf Quellen zurück greifen, die in Rom schriftlich hinterlegt waren und sich auf Segestes bezogen. Aber genau so konnten sie sich auch nur auf die eine Angabe von Paterculus gestützt haben. Aber letztlich waren alle vier Historiker von ihren Vorlagen abhängig und nur ihnen entnahmen sie die von Segestes an Varus ergangene Warnung, gleich von wem sie stammte. Wer um das Jahr 17 + in Gestalt des „ab epistulis“ als Vertrauter von Kaiser Tiberius an den angenommenen Gesprächen mit Segestes beteiligt gewesen sein könnte ist nicht nachvollziehbar, es könnte sogar der später in Ungnade gefallene Sejan oder auch Seianus genannt gewesen sein. Und diesen Faden aufzugreifen würde auch einen Sinn ergeben und es ließe sich vertiefen. Tiberius förderte Sejan in dem er ihn parallel zu seiner Thronbesteigung 14 + zum Prätorianerpräfekten ernannte. Und wer wäre besser geeignet das klärende Gespräch bzw. Verhör für die Senatsakten im Jahr 17 + mit Segestes zu führen als er. Ein aus judikativer und exekutiver Sicht qualifizierter Prätorianerpräfekt der noch dazu mit den Weihen des Kaisers ausgestattet war. Sejan dürfte dafür gesorgt haben, dass alles in den richtigen Bahnen verlief, Segestes sich keinen Ausrutscher erlaubte und kein Konflikt mit dem Kaiserhaus entstehen konnte. Und über Sejan wird auch eine Nähe zu Paterculus deutlich der auf diesem Wege erfuhr, was sich nach den Worten von Segestes einst in Ostwestfalen zugetragen haben soll. Hier wäre auch die Anknüpfstelle zu sehen wo es noch einmal sicherzustellen galt, dass nur Varus der große Versager war. Es war eine Zeit, als Sejan noch im Einklang mit Tiberius handelte und Paterculus seinen Wissenstand übernahm. Man könnte also in Sejan den Mittelsmann in der historischen Kette sehen der dabei half, dass die Rechtfertigungen des Segestes die Geschichtsbücher erreichten. Aber auch Naevius Sertorius Macro hätte schon an den Gesprächen mit Segestes teilgenommen haben können. Auf alle die Segestes damals in Rom befragten, muss es befremdlich und nahezu schockierend gewirkt haben, was er vor dem Ausbruch der Schlacht Varus gegenüber ausgesprochen haben will oder soll. Aber was auffällt ist die Tatsache, dass es immer nur Varus und kein anderer war, der zum Empfänger der Warnung aus dem Munde von Segestes wurde und sie entgegen nahm. Zeugen also Zuhörer die bei der Warnung des Segestes an Varus zugegen waren, konnte keiner der vier Historiker namentlich benennen. Es klingt demnach so, als ob Varus immer nur im Rahmen eines Zwiegespräches von Segestes gewarnt wurde. So liest man es bei Paterculus, dass nur Varus von Segestes informiert wurde mit den Worten: „….id Varo per virum eius gentis fidelem clarique nominis, SEGESTEN, indicatur. postulabat etiam“. Und auch nach Tacitus wurde ebenfalls nur Varus von Segestes informiert: „….Arminius turbatur Germaniae, SEGESTES parari rebellionem saepe“. Und genauso bei Florus. Auch von ihm wurde Varus nur von einer Person nämlich Segestes informiert „cum interim tanta erat Varo pacis fiducia, ut ne prodita quidem per SEGESTEM unum principum coniuratione commoveretur“. Nur Cassius Dio der letzte der antiken Berichteratter macht eine etwas abweichende Angabe. Bei ihm lesen wir, dass zwar auch nur die Einzelperson des Varus gewarnt worden sein soll, aber sogar von mehreren Personen und nicht nur von Segestes allein. Dieser Unterschied zu den anderen drei Historikern führt, wenn es denn so war, zu weiteren Überlegungen. Denn wer sollte außer Segestes Varus noch gewarnt haben. Aber auch wenn es nach Cassius Dio doch noch weitere Zeugen für die Warnung gegeben haben soll, so steht damit fest, dass es wieder außer Varus keinen anderen Römer gab, der von der Warnung im Sommerlager etwas gewusst zu haben schien. Da Varus und sein Generalstab seit dem Herbst 9 + nicht mehr lebte, hatte Segestes die freie Wahl der Darstellung. Segestes hätte bei einer Abweichung durch Dio demnach Varus immer nur persönlich, sozusagen unter vier Augen auf die bevorstehende Gefahr hingewiesen. Offensichtlich erreichten die Warnungen von Segestes immer nur Varus allein und es gab dafür in allen Überlieferungen keine weiteren römischen Zeugen die auf der Seite von Varus standen und es mit hörten. Ein Sachverhalt der nachdenklich macht und gleichzeitig verdächtig ist. Wir man sich denken kann, herrschte vor dem Ausmarsch aus dem Sommerlager einer nervöse Anspannung. Segestes wusste von der Gefahr und versuchte Varus zu überzeugen, stieß aber bei ihm bekanntlich auf taube Ohren. Aber eines tat Segestes den Überlieferungen zufolge nicht, denn kein Historiker schrieb, dass er auch versucht habe andere Personen aus dem Führungsstab von Varus auf die Gefahr eines germanischen Überfalls hinzuweisen. Segestes kannte die Generäle von den gemeinsamen Banquetts und er hätte in Anbetracht des hohen Risikos auch sie einweihen oder informieren können. Wenn es ihm also schon nicht gelang Varus die Problematik bewusst zu machen, so wäre es doch ein logischer Schritt gewesen, wenn er versucht hätte auf andere Personen Einfluss zu nehmen. Von Seiten der angedachten römischen „Untersuchungskommission“ hätte man ihn dies fragen können, aber über weitere Zeugen schweigen die Quellen. Letztlich musste es Segestes ohne diese Mitwisser darstellen, da er andernfalls dem hoch geachteten Militär indirekt eine Mitschuld am Versagen gegeben hätte. Eine Unverzeihbarkeit, denn die drei Legionen waren in den Augen aller die unantastbare Crème de la Crème des römischen Militärapparates die er nicht beschmutzen durfte. So könnte dahinter ein weiterer Ballanceakt von Segestes gestanden haben um sich keiner Gefahr auszusetzen. Diese Abschweifung zeigt aber erneut, auf welch fragilen Gerüst die Argumentationslage von Segestes aufgebaut war und es spricht wieder für die Theorie, dass es von seiner Seite keinerlei Frühwarnungen gab. So glaubte man ihm in Rom alles, weil man es ihm glauben wollte. Unabhängig davon wird der Nachrichtenfluss über das, was sich unmittelbar vor dem Ausbruch der Varusschlacht zutrug Rom nur noch als ein Rinnsal erreicht haben. Die Aussagen derer die Überlebten, die später frei gekauft wurden oder flüchten konnten und die etwas hätten sagen können oder wollen, dürfte verschwindend gering gewesen sein. Nach Jahren oder Jahrzehnten wollte in Rom niemand mehr wissen was damals geschah. Alle Äußerungen die die vier Historiker der Phase III über das Gesagte von Segestes machten und die uns bekannt geworden sind beruhen wie man annehmen darf auf den Schutzbehauptungen, die Segestes erst im Jahre 17 + aus Gründen seiner persönlichen Reputation und seiner Überlebensstrategie in Rom der Öffentlichkeit preis gab. Im Krisengebiet des östlichen Westfalens des Jahres 9 + dürften ihm diese gefährlichen Hinweise an Varus sicherlich nicht über die Lippen gegangen sein. Falls doch hätte er die Konsequenzen daraus wohl nicht überlebt. Demzufolge sollte man alle Überlieferungen die auf diesem von Segestes inszenierten Konstrukt basieren, aber von den späteren antiken Historikern wider besseren Wissens aufgegriffen wurden für fragwürdig halten. Man könnte sie als tendenziös beeinflusst bezeichnen, da sie sich aus einer menschlichen Notlage heraus ergaben, in der Segestes damals steckte. Und dazu gehören auch die von Tacitus gemachten Angaben darüber, dass Segestes sich sogar selbst angeboten haben soll, sich in Fesseln legen zu lassen. Und nicht nur das. Varus sollte auf seinen Vorschlag hin auch noch Arminius und die anderen Anführer der Cherusker gefangen nehmen, um so die Wahrheit heraus finden zu können. So könne Varus dann ganz sicher sein, dass das dadurch führerlos gewordene germanische Volk keinen Aufstand mehr gegen ihn riskieren würde. Widmet man sich dem Segestes „Ausredenkatalog“ etwas genauer, so fällt bei seinem Plan ins Auge, dass er nur auf den ersten Blick plausibel erscheint. Ein rhetorisches Manöver, dass er seinen Fragestellern in Rom als glaubwürdig anbot. Denn er konstruierte für sie einen Vorschlag für sein damaliges Verhalten, das in der Praxis nicht umsetzbar gewesen wäre und den kein Varus der Welt akzeptiert hätte. Aber eine Idee mit der sich die Theoretiker im Tribunal des Palatin überzeugen ließen und auch zufrieden gaben. Gemeint ist sein Einfall, man könne alle hohen germanischen Fürsten und ihn gleich mit in Fesseln legen, um auf diese Weise den Aufstand zu ersticken. Aber denken wir seinen Plan und sein Ringen um Reputation einmal zu Ende. Dann hätte also Varus wie von ihm empfohlen gehandelt. Er legte also ein Dutzend ehrwürdiger Germanen in Ketten. Und schon stellt sich die nächste Frage, nämlich wie lange er sie denn in Ketten liegen lassen wollte. Aber was wäre dann passiert. Man könnte die Schlussfolgerung daraus ziehen in dem man die Frage aufwirft, ob denn die Varusschlacht ausgeblieben wäre, wenn er wie von Segestes vorgeschlagen gehandelt hätte. Hätte er es sich denn überhaupt erlauben können, sich den Marsch zu den Aufrührern zu ersparen. Wäre ihm etwa ein Signal oder ein plötzlichen Zeichen der Verständigung aus dem südlichen Nethegau zugegangen, dass der Aufstand durch das in Fesseln legen der Aufrührer in sich zusammen gebrochen wäre, oder hätten die Unruhen angehalten. Hätten also die Germanen den Aufruhr trotzdem fort gesetzt und daher immer noch um den Besuch von Varus als Schlichter und oberstem Gerichtsherr gebeten. Denn nach wie vor musste Varus davon ausgehen, dass im südlichen Nethegau Germanen ansässig waren die sich im Aufruhr befanden und denen an seiner Schlichtung gelegen war. Oder hätte Varus entschieden die Aufrührer nun nicht mehr zu beachten, sie links liegen zu lassen und den Aufstand als Finte durchschaut. Wie verlässlich war Segestes in diesem Moment und was wäre, wenn sich der Aufstand ohne sein Einschreiten später gegen Rom gerichtet hätte, selbst wenn man die vermeintlichen Anstifter in Fesseln gelegt hatte oder dann erst recht. Ganz so wie es ihm Arminius geschildert hatte musste Varus damit rechnen, dass die Rebellion auch bei einem in Fesseln liegenden Arminius weiter gehen könnte. Das in Fesseln legen war also keine sichere Option um mit den Aufständischen die eigentlichen Ursachen für den Aufruhr abklären zu können. Um sicher zu gehen, dass im Süden Ruhe herrschte sollte man daher annehmen, dass er sich davon selbst überzeugen wollte und sogar musste. Diese nur ansatzweise führbare Diskussionstiefe zeigt bereits, dass sich hier eine Gemengelage zusammen braute, die Varus auch bei einer Gefangennahme der Cherusker keinen Schritt weiter gebracht hätte. Segestes konnte demzufolge Varus auch nicht davon überzeugt haben, dass der Aufstand mit einem in Fesseln liegenden Arminius in sich zusammen gebrochen wäre. Und ohne eine cheruskische Schutztruppe im Rücken zu wissen, hätte Varus wiederum nicht ins Aufstandsgebiet ziehen wollen und hätte einen möglichen Krisenherd zurück gelassen. So wäre es zweifelhaft gewesen, ob Varus auch ohne cheruskische Unterstützung in den Süden gezogen wäre. Aber so ließ sich nicht der durchschlagende Beweis erbringen, mit dem man Arminius und seine Männer mit einem Komplott in Zusammenhang hätte bringen können. Denn so wie es Arminius dargestellt hatte wollten die Arminen lediglich einen Aufruhr mit Hilfe von Varus verhindern. Wie hätte sich später Segestes auf den Standpunkt stellen können, dass man es ihm zu verdanken hatte, dass Varus nichts zugestoßen wäre. Und genauso hätte Varus ihm vorwerfen können, die Männer um Arminius auf sein Geheiß hin zu unrecht in Fesseln gelegt und sie sich zu Feinden gemacht zu haben­. Wie also hätte Segestes jemals beweisen sollen, dass dieser Schritt bzw. sein Vorschlag einen Aufstand verhindert hätte. Denn mit dem in Fesseln legen allein, ließe sich nicht beweisen, dass deswegen der Aufstand ausblieb. Segestes wäre folglich die entscheidende Beweisführung schuldig geblieben und das hätte ihn in arge Schwierigkeiten gebracht. Anders ausgedrückt. Die Cheruskerfürsten wären eingekerkert worden wo und für wie lange auch immer, Varus wäre dem falschen Ratschlag gefolgt, ihm wäre zwar nichts zugestoßen aber die Arminen seine „getreuen“ Vertragspartner hätten sich zu Unrecht verdächtig gefühlt und darüber hinaus sogar bestraft gesehen. Und sie hätten dies glaubhaft vorbringen können. So hätte Segestes zwar recht behalten, aber Varus hätte sich aufgrund der Unschuldsvermutung einen folgenschweren Fehler geleistet. Mit einem derartiges Argument ließen sich von Segestes nur Beamte in Rom beeindrucken, aber ein Varus der sich mitten im Feindesland unter vermeintlichen Freunden bewegte, hatte sich den realen Dingen des Alltags zu stellen und da wäre selbst wenn es so gewesen wäre, kein Platz für Phantasiegebilde aus dem Munde eines Segestes gewesen. In der Tat wäre das in Fesseln legen einer ganzen Oberschicht wahrlich nicht gut angekommen. Varus saß auf einem Pulverfass und wäre ein erhebliches Risiko eingegangen. Ein Eklat mit ungewissem Ausgang in alle Richtungen wäre denkbar gewesen. Hätte Varus auf Segestes gehört, so hätte allein schon diese Tat für sich genommen, einen Aufstand auslösen und ihn selbst Kopf und Kragen kosten können. Denn Varus standen nur drei Rumpflegionen zur Verfügung und er brauchte gerade die Cherusker die Segestes bezichtigte. Hinzu kommt, dass er das Land an der Weser vom September bis in den März hinein wieder der Stammesherrschaft der Cherusker überantworten musste und er wollte das Land im Frühjahr 10 + so vorfinden wie er es im September verlassen hatte. Ein morsches Argumentationsgebilde was Segestes da in Rom auftischte. So muss man auch aus heutiger Sicht, den Varus gegenüber gemachten Vorschlag schon als abwegig bezeichnen. Denn er trägt schon nahezu naive Züge in sich, die wir uns bis heute gezwungen sehen sie ernsthaft diskutieren zu müssen. Möchte man Segestes in die Karten schauen, dann könnte er sich damit in Rom auch einen argumentativen Freiraum verschafft haben war Teil seines Planes um Glaubwürdigkeit zu erringen, der auch aufging. Voraus gesetzt man wollte sich dieser Theorie zu neigen. Auf diese Weise gelang es ihm auch indirekt gegenüber den Beamten des Senats der römischen Provinzialverwaltung in Germanien zu mehr Achtung zu verhelfen. Denn ein römischer Statthalter, der den unterworfenen Völkern eine gewisse Selbständigkeit ließ, der aber in kritischen Situationen, wenn die römische Herrschaft in Frage gestellt wurde imstande war, mit der nötigen Härte vorgehen zu können. es aber nicht darauf anlegte. Eine kraftvoller Auftritt der sich in Rom glaubhaft verkaufen ließ, wo man meilenweit vom Ort des Geschehens und somit von der Realität entfernt war. Segestes könnte daher dieses Szenario passenderweise zusätzlich mit in sein Argumentationsgerüst aufgenommen haben. Schließlich war er Taktiker und musste alles auf eine Karte setzen, damit man in ihm in Rom nicht einen Menschen erkennen konnte, der seinerzeit nur halbherzig und mit hintergründigen Absichten die Fronten wechselte. Er musste den Verdacht entkräften, vielleicht damals der gemeinsamen germanischen Sache doch nicht gänzlich abgeschworen zu haben. Denn er ließ sich bekanntlich letztlich an der Seite von Arminius doch noch in den Krieg gegen Varus hinein ziehen. Greift man in die Kiste des „Wenn und Aber“, so hätte Segestes auch annehmen können, es würden sich Germanen finden lassen, die die Fürsten Segimer und Arminius in Ketten liegend noch nachträglich der Aufrührerschaft bezichtigt hätten. Germanen die auf der Seite von Segimer und Arminius standen, hätten wohl nicht ihre eigenen Anführer verraten. Es sei denn man hätte gedungene Verräter gefunden die sich dazu bereit erklärt hätten. So lässt sich hinter allem was Segestes vortrug ein irreales Fundament ausmachen. Doch zurück zu den vier antiken Historikern der Varusschlacht – Geschichte und wie sie ihr Wissen um das Verhalten von Segestes formulierten. Paterculus saß am Nächsten zur Quelle und äußerte sich relativ eindeutig. Seine Worte lassen sich der Übersetzung nach etwa wie folgt greifen „aber nach der ersten Warnung von Segestes fand sich keine Zeit mehr für eine zweite Warnung“ (Paterculus 2.118.4“. Anders ausgedrückt, Segestes konnte ihn nur einmal warnen, hätte es vielleicht auch noch ein zweites Mal versucht, aber da war es bereits zu spät. So zumindest interpretierte es Paterculus. Varus hatte schon das Sommerlager verlassen und ließ sich durch nichts und auch von Segestes nicht mehr umstimmen bzw. von seinem Marsch zu den Aufrührern abhalten. Diese Überlieferung lässt jedoch einen unmissverständlichen Unterschied zu dem erkennen, was Tacitus überliefert hat. Denn er schrieb, „Segestes habe Varus mehrfach und sogar noch anlässlich des letzten Gastmahl enthüllt, dass man einen Aufstand vorbereiten würde“ (Tacitus 1.55.2).Glauben wir Paterculus warnte Segestes den Feldherrn nur einmal, glauben wir Tacitus warnte Segestes ihn mehrmals. Somit haben wir es also mit abweichenden und unerklärlichen Quellenangaben zu tun. Mehrfachwarnungen sollte Segestes sie ausgesprochen haben, hätten seinem Ruf vor dem Tribunal sicherlich besser zu Gesicht gestanden, als wenn er Varus nur einmal auf die Gefahr hingewiesen hätte. Dazu passt auch die Textstelle 1.58.2 in der Tacitus Segestes sagen lässt „also habe ich Arminius bei Varus angeklagt ... wurde aber vertröstet“. Auch dieser Hinweis unterstreicht die schon flehentlich wirkenden Worte von Segestes, wirklich alles getan zu haben um Varus zu überzeugen, sich aber immer nur eine Abfuhr ein handelte. Der arme Segestes, der doch wirklich nichts unversucht ließ um Varus zu schützen. Die Worte von Florus (2.30.33), dass die Verschwörung Varus gegenüber von Segestes aufgedeckt wurde, birgt keinen Interpretationsspielraum, als das bereits bekannte. Aber die Worte von Cassius Dio 56.19.3 genießen einen besonderen Stellenwert. Denn während der erste Informant Paterculus noch Zeitzeuge war, lagen zwischen seiner und der Überlieferung von Cassius Dio rund 200 Jahre. 200 Jahre die viel verwässerten, in der aber auch manches aktenkundig geworden sein könnte, von dem Paterculus 200 Jahre zuvor noch nichts wusste. Dio schrieb der Übersetzung nach (56.19.3) „und allen, die mit Argwohn die Entwicklung (im Vorfeld der Varusschlacht) beobachteten und (Varus) zur Vorsicht mahnten, denen schenkte er nicht nur keinen Glauben, sondern warf ihnen auch noch vor, dass sie sich grundlos erregten“. So veränderte sich über die Jahrhunderte das Gesicht der Überlieferung. Denn auf Paterculus der berichten konnte Varus wäre nur einmal von Segestes gewarnt worden folgte 100 Jahre später Tacitus, der schon „wusste“, dass Varus von Segestes sogar mehrfach gewarnt worden sein soll. Und am Ende der Historikerriege der Phase III erscheint Cassius Dio der 236 + verstarb und seine Worte bilden den Abschluss im Reigen um die Frage was in den Stunden vor dem Verlassen des Sommerlagers besprochen worden sein soll. Cassius Dio sichtete und las vieles, verarbeitete es und versuchte sich noch nach 200 Jahren einen Überblick zu verschaffen um sich in die alten Ereignisse hinein zu denken. Er machte vieles passend was ihm verwirrend erschien, brachte eine gewisse Kontinuität und einen Zusammenhang in den Verlauf der Varusschlacht, was vor ihm niemand tat. Er war bemüht das Stückwerk zu verbinden und es aufzuhellen. Dabei bemühte er seine Phantasie in dem er sich die verregneten germanischen Wälder und die stürmische Wetterlage in Ostwestfalen vorzustellen versuchte. Die Tiefe der Empfindsamkeit die Dio dem Feldherrn Varus entlockte in dem er sich bemühte noch nach 200 Jahren seine Worte nach zu empfinden baut auf dem Wissen auf, das ihm seine Vorfahren als Vorlagen hinterließen. Und was diesen Wissensstand anbelangt, so sind wir bei einem den Zeiten nahe stehenden Paterculus vermutlich besser aufgehoben auch wenn der sich vermutlich nur auf den uns bekannten Segestes stützen konnte, der letztlich nur überleben wollte. Bei der Betrachtung der Historie zur Varusschlacht gehen viele Geschichtsinteressierte auf den ersten Blick davon aus, dass die Darstellungen der vier großen Berichterstatter unterschiedlicher kaum sein können. Dies lässt sich jedoch als Irrtum entlarven, denn sie sind alle sehr gut kompatibel zueinander und lassen sich sehr wohl mit einander vereinbaren. Man muss sich „nur“ der Faktenlage bewusst werden, dass wir es immer nur mit einer Urquelle zu tun haben. Denn es lassen sich keine kreuz und quer verlaufenden Informationsstränge erkennen. Die Zahl der Anwesenden vor dem Ausmarsch war überschaubar. Segestes kannte sie alle und wusste wer von ihnen die Schlacht überlebt hatte und wer nicht. Es war für ihn ein einfaches sich auf Basis von Verstorbenen ein Alibi für seine Taten aufzubauen. Zur Theorie gehört auch die Akribie, denn auch die Mehrtagesschlachtdarstellung wie sie uns Cassius Dio rekonstruiert hinterließ, lässt sich nur auf dieser Basis Leben einhauchen. Ohne diese Vorgehensweise und eine an den Details orientierte Herangehensweise wäre es nicht möglich gewesen, dem bislang unentdeckten Marschtag auf die Spur zu kommen. Gemeint ist hier der erste Marschtag, an dem sich noch kein Schlachtgeschehen entwickelte. Aber es finden sich noch weitere Beweisketten mit denen sich unterstreichen lässt, dass Segestes einen großen Anteil an der Varusniederlage trug, da er dieser Theorie folgend Varus wider alle Annahmen nicht warnte. Jeder der vier großen Historiker hat sich unabhängig voneinander mit seinem ureigenen Szenario in der Geschichtsschreibung verewigt, konnte aber wie sich inhaltlich offenbart immer nur einer Quelle folgen und die lautete Segestes. Eine Quelle in der die späteren Historiker Florus, Tacitus und Dio mit Ausnahme von Paterculus vermutlich schon gar nicht mehr den eigentlichen Urheber Segestes erkannten. Kanalisiert man die Überlieferungen, dann betonte Paterculus als Offizier natürlichen den militärischen Aspekt und war weniger daran interessiert, was ein Segestes von sich gab. Tacitus konnte uns nur über das Auffinden des Schlachtgebietes und die Bestattungsrituale sechs Jahre nach der Schlacht etwas verraten. Für die Warnung des Segestes hatte er nicht viele Zeilen übrig. Florus trumpfte mit der Lagerüberfallvariante am zweiten Marschtag auf und bei ihm erschien Segestes nur als Randfigur. Cassius Dio beschrieb die gesamte Mehrtagesschlacht und auch er folgt hinsichtlich Segestes auch nur der Quelle die alle nutzten. Trotzdem ist bei geringer Abweichung alles miteinander kompatibel. Betrachten wir aber möglichst unvoreingenommen die Überlieferungen dieser vier Geschichtsschreiber so fällt eines auf. Denn obwohl sie auf den ersten Blick alle nicht in voller Gänze zueinander passen wollen, so ist ihnen doch eines gemeinsam. Denn gleich wann sie schrieben, ob Paterculus ( um 30 + ) Tacitus (um 116 + ) Florus (um 120 + ) oder Dio (um 200 + ), waren sie sich alle darin einig, dass Segestes den Feldherrn gewarnt und damit die Germanen verraten hatte. Nur Cassius Dio wich etwas davon ab, da er den Namen von Segestes nicht erwähnte und von mehreren sprach die Varus gewarnt haben sollen. Was muss an dieser Ur - Quelle für die späteren Historiker so glaubhaft gewesen sein, dass keiner daran zweifelte und alle die Warnung in ihren Schriften erwähnten. Die Antwort klingt einleuchtend. Sie schrieben über die Jahrhunderte verteilt und das nur in Nuancen also bei minimalen Abschweifungen nahezu immer nur deswegen das Gleiche, da es neben Segestes keine zweite Quelle gab auf die sie sich hätten beziehen können. Und das obwohl Dio eine Mehrtagesschlacht und Florus den Lagerüberfall innerhalb dieser Mehrtagesschlacht beschreibt nähern sich beide wieder an, wenn sie über das berichten, was Segestes tat. Diese Feststellung lässt erkennen, wie identisch Florus mit Dio schrieben, was vielen Historikern wie abweichend erscheint. Das Verhalten von Segestes hat demnach bei allen nicht nur einen tiefen sondern auch einen nahezu identischen Eindruck hinterlassen. Vieles ihrer Überlieferungen wirkt nur scheinbar nicht kompatibel, aber das Thema „Segesteswarnung“ verband sie alle und keiner von ihnen ließ es aus. Es zieht sich wenn auch nicht als ein Hauptthema, so aber doch durch alle antiken Schriften von Paterculus über Florus, Tacitus bis hin zu Dio, der 2oo Jahre nach Paterculus schrieb. Trotz der insgesamt mager zu nennenden Ausbeute an Zeilen die sie für die Varusschlacht übrig hatten, wollten sie uns doch diesen bedeutsamen Sachverhalt nicht verschweigen. Nämlich den, dass ein römischer Feldherr einem Warnhinweis nicht folgen wollte und darauf hin zur Strafe selbst und mit ihm noch drei Legionen unter gingen. Dieser Hinweis den Strabo noch nicht verarbeitete, weil er es vermutlich nicht wusste, hat sich ab dem Jahr 17 + durch alle antiken Quellen gezogen, hat sich immer wieder fort gesetzt und jede weitere Abschrift des Urtextes machte ihn um so glaubhafter. So weit, dass Cassius Dio zu Beginn des 3. Jahrhunderts den Namen von Segestes schon gar nicht mehr explizit nennen brauchte, da ihn schon jeder kannte. Während man in Rom darauf achtete, dass die Tat des Segestes und das nachweislich bis ins 3. Jahrhundert nicht mehr in Vergessenheit geraten sollte, schien sich für den detaillierten Verlauf der Schlacht auf sehr lange Zeit niemand mehr zu interessieren. Rund 80 Jahre mussten nach Paterculus verstreichen bis Tacitus und Florus die Thematik wieder aufgriffen und weitere 1oo Jahre dauerte es dann noch bis Cassius Dio auch auf die Idee kam, die alten Akten noch einmal aufzurollen. Es war damals eine schier unglaubliche Geschichte die Segestes in Rom zum Besten gab und sie verhalf dieser Legende zu einer erstaunlichen Langlebigkeit. Niemand durfte aufgrund höherer Weisungen in den ersten Jahrzehnten nach der Zeitenwende an der Aussage zweifeln, da sie gut ins kaiserliche Konzept passte und später legten sich die Nebel der Zeit über die einstige Realität. So ging es in die Geschichte ein als die Worte eines treuen Römerfreundes. Und man vergas über die Jahre in welchem Dilemma doch dieser Mann damals steckte, als er sich in die Obhut des Gegners flüchtete um nach den Kriegen als Germanenfürst von Roms Gnaden zurück kehren zu können.(06.11.2020/Ergänzungen 07.11.2020)

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