Freitag, 15. Mai 2020
Segestes, traf er 15 + eine Fehlentscheidung ? Und sein besonderes Verhältnis zu Germanicus
Die Metapher „es ist einem schon fasst zum Haare raufen zumute“ trifft es recht gut. Denn wer sich mit den antiken Geschichtsschreibern beschäftigt, der muss sich gleichzeitig auch immer die Frage stellen, welche Kriterien diese Togen tragenden alten Herren, zu denen wir alle so ehrfurchtsvoll auf blicken, für ihre Textauswahl zugrunde legten. Denn sie schrieben oft auch nur selbst von anderen Vorlagen ab und waren selten Zeitzeugen eines Geschehens, wie es etwa Strabo oder Paterculus waren, was sie glaubhafter gemacht hätte. In Zusammenhang mit der Varusschlacht sind hier besonders Florus, Tacitus und Cassius Dio anzuführen, die sich alle nur auf älteres Material stützen konnten, da die Schlacht schon lange vor ihrer Geburt Geschichte war. Was entnahmen die drei also ihren Quellen um es für ihre eigene Geschichtsschreibung zu verwenden und was interessierte sie nicht bzw. hielten sie nicht für bedeutsam und der Abschrift nicht würdig. Sie nutzten sicherlich nicht alles was sie vorfanden, besaßen möglicherweise Vorlieben für das eine oder andere oder gaben sich eine Zielrichtung vor, zu der das Gelesene passen sollte. Vieles was wir gerne erfahren hätten schoben sie möglicherweise zur Seite und gaben Verläufen den Vorzug, auf die wir auch hätten verzichten können. Wo zogen sie den Trennstrich zwischen wichtig und unwichtig. Bestand vielleicht ein Mangel an geeigneten Quellen und sie mussten daher nach allem greifen was sie fanden, oder lag ihnen ausführliches Material vor und sie konnten sich sogar den Luxus leisten zu selektieren. Lag es etwa in ihrem Interesse ihre Quellen für ureigene persönliche Botschaften und Einschätzungen an den Leser zu nutzen, dann beeinflussten und veränderten sie möglicherweise den Inhalt bis er ihren Vorstellungen entsprach. Aber damit stechen wir tief in die Grauzone der Manipulation und geraten dabei auch schnell selbst in Gefahr uns mit daran zu beteiligen. Denn auch wir würden gerne unsere Vorstellungen bestätigt sehen, aber Neutralität beizubehalten ist dem Menschen selten gegeben. Im Rahmen dieser Untersuchung stoßen wir bei Tacitus unter 1.57 (5) auf eine Begebenheit bei der wir uns fragen müssen, warum Tacitus sie thematisierte. Offensichtlich schien er sie nicht für eine Nebensächlichkeit zu halten. Eine Episode in der ein seltsamer Widerspruch zum Ausdruck kommt. Es ist sein Hinweis in dem er auf das Zusammentragen des alten Raubgutes eingeht. Nämlich Beute die nur jenen Germanen zustand die 9 + auch ihre Waffe gegen Varus mit erhoben hatten. Persönliche Kriegserinnerungen, die aber nun anlässlich der Befreiung des Segestes in seiner Burg wieder auftauchten und von römischen Legionären eingesammelt wurden. Möglicherweise befanden sich darunter auch äußerst prachtvolle Attribute, die sich der eine einst blutig erkämpfte während der andere sie nur vom Boden aufheben brauchte. Aber problematisch wurde alles erst dadurch, dass die Teile ausgerechnet zum Besitz jener Oberschicht zählten, die nun zu Germanicus flüchten wollten. Und dies dürfte für Germanicus der ultimative Hinweis dafür gewesen sein, dass er nun seinen Fuß nicht nur in das Wespennest eines Bittstellers, sondern gleichzeitig auch in ein Zentrum des Erzfeindes gesetzt hatte. Aber es lässt auch noch eine weitere Frage aufkommen. Nämlich die Recherche zu wagen, was sich außerdem noch in den Händen jener Segestes Anhänger befunden haben muss, die sich zum Zeitpunkt seiner Befreiung nicht in seinem unmittelbaren Gefolge, sondern im Umland aufhielten und die nicht mit ihm die Seite wechseln wollten. Germanen die ihrer Region treu blieben und nun in Arminius ihren neuen Anführer sahen, nachdem sich Segestes aus dem Staub gemacht hat. Germanen die danach auf Seiten von Arminius in die Kämpfe gegen Germanicus eingegriffen, haben könnten, obwohl sie einst zur Segestes Sippe gehörten. Und natürlich kommt noch der Beutefundus hinzu, der in die Hände aller anderen Germanen fiel, die sich am Kampf gegen Varus beteiligt hatten. Selbst wenn Varus die Hälfte seiner Legionen an Tiberius für den Markomannen Feldzug abtreten musste, fielen den Germanen immer noch einige Tonnen Metallteile bestehend aus Rüstungen oder Waffen etc. in die Hände. Tacitus ließ die historische Tatsache um die Beutestücke, die er seinen Quellen entnahm und die man für authentisch hält nicht unter den Tisch fallen, weil er sie für genauso bedeutsam wie widersprüchlich hielt. Aber er hätte es weg fallen lassen können, denn es lag in seiner Hand, ob er dieses Wissen über seine Annalen weiter geben wollte oder nicht. Er inspirierte damit unser Vorstellungsvermögen, und man darf sich fragen, was er mit der Erwähnung bezweckte. Das Auffinden der Teile könnte auch ihn irritiert haben, da es so gar nicht in den Kontext der Geschehnisse passen wollte. Und er lässt damit nicht nur einen Funken, sondern schon eine gehörige Portion Skepsis an alledem aufkommen, was die Person des Segestes umgab. Aber Tacitus kommentierte es nicht, obwohl ihm vielleicht der Sinn danach stand. Die lange Zeit die nach der Varusschlacht verstrich, etwa hundert Jahre reichte möglicherweise noch nicht aus um die Geschichte um den Alleinschuldigen Varus neu zu schreiben und auf den Prüfstand zu stellen, denn inzwischen war daraus ein Staatsdogma geworden an dem niemand mehr rütteln wollte. Trotzdem setzte es Tacitus indirekt in Kontrast zu den Worten, die Segestes für seine Reputation fand, so als ob er dem Leser die Entscheidung überlassen wollte, für wie glaubhaft er Segestes halten wollte. So wahrte Tacitus einen dezenten Abstand zu den alten Ereignissen. Wenn man aber bislang annehmen konnte, dass vieles der Begebenheiten die sich innerhalb der Segestesburg zutrugen seinen Worten entsprang so wissen wir anhand der Beutestücke nun, dass es auch noch eine Reihe anderer Zeitgenossen als nur Segestes gegeben haben muss, die ihre Spuren in den Quellen des Palatin hinterließen. Denn Segestes hätte wohl nicht von sich aus über diese Affäre gesprochen. Personen aus dem Umfeld des Germanicus, die im vermeintlichen „Vogelbeck“ der möglichen Segestes Burg mit dabei waren und die dieses Wissen weiter geben konnten. Zeitzeugen die später nicht nur über die Befreiung des Segestes berichteten, sondern auch ihr Wissen über die Feldzüge des Germanicus den Tacitus Annalen beisteuerten. In Rom wusste man also 17 + und schon bevor Segestes eintraf von diesen interessanten Beutestücken, da man auf sie in Germanien schon zwei Jahre zuvor im Jahre 15 + gestoßen war. Segestes konnte es also gar nicht mehr vermeiden dieses unangenehme Kapitel auszusparen und musste auch darauf Bezug nehmen bzw. sich auf derartige Fragen vorbereiten. Man konfrontierte ihn letztlich mit den varianischen Beutestücke und brachte damit die peinliche Geschichte zur Sprache. Für die Befreiungstat des Jahres 15 + gab es also anders als nach der Varusschlacht viele Zeugen die berichten konnten und es auch taten. Sodass uns nicht nur der wie eine Befreiungstat dargestellte Ritt von Germanicus zu Segestes eine weit aus bessere Quellenlage bescherte und hinterließ, als es bei den älteren Vorgängen im Zusammenhang mit der Varusschlacht der Fall war. Denn während für die Schlacht im Jahre 9 + auf römischer Seite nur wenige Überlebende genannt werden, verlief das Scharmützel mit den Cheruskern die im Umfeld der Segestesburg lagerten für Germanicus bei weitem nicht so verlustreich, so dass es im Frühjahr 15 + auch mehr römische Legionäre und Offiziere gab, die in Rom darüber berichten konnten. So ließ sich das Auffinden von Beutestücken die aus der Varusschlacht stammten auch nicht, wie es vielleicht Segestes erhofft hatte, vor der Geschichte geheim halten. Aber alles wurde in den Quellen zusammen getragen und ging dann aus ihnen hervor, als Tacitus sie hundert Jahre später einsah und nutzte. Aber diese Überlieferung dürfte Tacitus wie dargestellt ins Grübeln gebracht haben. Und genau an diesem wunden Punkt holte auch Segestes noch einmal die ungeliebte Vergangenheit ein. Eine Zeit in der er möglicherweise auch die falsche Entscheidung traf und vielleicht besser an der Leine geblieben wäre. Denn in seinem Schicksalsjahr 15 + konnte er noch nicht ahnen, dass er auch zu diesen Ereignissen einmal im Palatin Rede und Antwort zu stehen hatte. Vielleicht hatte er es 17 + sogar schon selbst fasst vergessen oder verdrängt, dass Germanicus damals die Beutestücke fand, hatte nie damit gerechnet und war verblüfft, dass es noch einmal zur Sprache kommen würde. Völlig anders verhielt es sich mit der im Jahrbuch 1.58 zu Papier gebrachten Segestes Rede die in dieser Form nur in Rom vorgetragen worden sein konnte, aber nicht im Moment des Erscheinen von Germanicus in seiner Burg. Und zwischen den Funden der Beutestücke im Fürstensitz von Segestes und seiner Rede gibt es einen Unterschied in Aufbau und Ablauf der Geschehnisse. Denn ein Wortlaut den die Advokaten des Senats mit schreiben also protokollieren konnten, als Segestes es aus der Erinnerung vortrug, ist nicht mit dem vergleichbar, was römische Legionäre in Germanien in der Praxis vor Ort in Form der Beutestücke mit eigenen Augen sehen konnten. Tacitus nutzte für seine Jahrbücher beides, also zum einen die Augenzeugenberichte der Legionäre und zum anderen die Mitschrift der „Reputationsrede“ des Segestes. Zwei Notizen aus unterschiedlichen Quellen die er den Senatsakten entnahm, die er aber in eine ihm gefällige Chronologie einfügte. Er verlegte beide Vorkommnisse nach Germanien. Obwohl Segestes zwar in Germanien in Gefangenschaft geriet, aber seine Rede nicht dort, sondern erst 17 + in Rom hielt. Seine bedeutsame Rede die er genötigt sah zu halten, als man ihn neben den Varusschlacht Ungereimtheiten zu allem Überfluss auch noch auf diese ärgerlichen Beutefunde hin ansprach. Tacitus versuchte verständlicherweise den Ereignissen einen nachvollziehbaren Verlauf zu geben. Er konnte den literarischen Bruchstücken vielleicht noch nicht einmal entnehmen, wo sie hin gehörten oder wo sie einst gesprochen wurden, ob sie nun den originalen Schauplätzen entstammten, oder ob sie nachträglich aufgearbeitet wurden. Schriftstücke und Aktenvermerke die vielleicht gar kein Datum trugen und aus denen nicht hervor ging wann und unter welchen Umständen man sie abfasste. Befragungen die vor zweitausend Jahre alle noch ohne Tonbandmitschnitt auskommen mussten. Es ist heute ein Leichtes Behauptungen oder Hypothesen aufzustellen, so dass die Erzeugung von Plausibilität und Kausalität wie es auch schon Tacitus tat zum wichtigsten Hilfsmitteln der Enträtselung wird. So wird uns bei alledem wieder umso verständlicher wie bedeutungsvoll die Rolle von Segestes auf dem Höhepunkt der römisch germanischen Schlachten der Jahre 9 + bis 15 + war. Und es wird wieder deutlich welchen maßgeblichen Anteil Segestes an unserem Geschichtsverständnis über die damalige Zeit hatte und welchen Mittelpunkt er darin einnahm. Wir haben also auch ihm unsere, wenn auch nicht profunden Kenntnisse über den Verlauf der Varusschlacht zu verdanken. Ein Wissenstand, den er aber insofern in Teilen mit prägte, als dass er ihn im eigenen Interesse „bearbeitet“ hatte. Aber wir hörten Segestes gerne zu, waren über die Jahrhunderte betrachtet bereit ihm alles zu glauben und mochten ihn nie in Frage stellen. Denn nicht erst in Rom passten seine Erklärungen hervorragend zur tagesaktuellen Innenpolitik. Auch in unseren Zeiten schmücken sie das illustre Bild, dass wir von unseren Ahnen lebendig erhalten möchten. Sei es nun falsch oder richtig, wir möchten nicht daran rütteln. Bei vielem was Tacitus schrieb, nutzte er die dritte Person, schrieb es von höherer Warte aus, nannte keine Quellen, zitierte kaum die Protagonisten und vermied es Herkunft und Ursprung deutlich zu machen, was mangelnde Objektivität befürchten lässt. Seinen Zeilen lässt sich folglich oft nicht entnehmen, wer es einst berichtete. Es kommt daher auch nur selten vor, dass man eine Aussage explizit auf die wichtige Person des Germanicus zurück führen kann wie zum Beispiel seine gütige Antwort, die er angeblich Segestes gab in dem er ihm Straffreiheit versprach. Und so kann genau diese Antwort der Objektivität zum Opfer gefallen sein und in der Form gar nicht statt gefunden haben. Es lässt sich also nur wenig heraus lesen, womit sich unser Wissen über den Sachverhalt des Jahres 15 + auf Germanicus oder seine engsten Begleiter zurück führen lässt. Schriftliche Zeugnisse auf die man den Namen Kriegstagebuch hätte anwenden können oder vergleichbare Aufzeichungen vermissen wir aus der Feder von Germanicus oder seinen Begleitern. So wissen wir nicht, wem wir die Abläufe und Beschreibungen seiner Feldzüge zu verdanken haben die uns Tacitus überlieferte. Germanicus war eben nicht Julius Cäsar und könnte man Germanicus charakterisieren, so könnte man aus seinen Handlungsweisen, die zeitweise unorthodox und kaum nachvollziehbar erscheinen auch schlussfolgern, dass er es bewusst vermied Tatenberichte zu hinterlassen. Details also mit Absicht nicht zu offenbaren könnte seinem Wesen entsprochen haben um zu erreichen, dass das oftmals Konfuse seiner Taten nicht an die spätere Öffentlichkeit kommt und dies dann Anlass dafür hätte geben können, sein Verhalten zu hinterfragen. Und da gibt es zahlreiche Vermerke über ihn für die sich separate Recherchen lohnen würden. Allein die Abberufung aus dem Pannonienkrieg wegen militärischer Unfähigkeit, sein dubioses Verhalten beim Soldatenaufstand 14 + und die anschließende brutale Marseroffensive, aber andererseits auch seine tiefe Trauer über die schiffbrüchigen Römer im Jahre 16 + machen ihn zu einer gespaltenen Person hinter der man viele Schwachstellen spürt. Seine Kriege und Schlachten in Germanien erscheinen salopp ausgedrückt wie ein Sammelsurium aus chaotisch gefassten und schlecht vorbereiteten Militär strategischen Beschlüssen und falschen Entscheidungen. Denn so gut konnten die Germanen gar nicht gekämpft haben, wie es ihnen erst ein schlechter Feldherr wie Germanicus ermöglichte, denn bekanntlich ist jeder Heerführer immer nur so gut wie es sein Gegner zulässt. Es gäbe da also sehr viel was ihm zum Nachteil auslegen könnten. Was dann diese Eigenschaften für einen Blick auf die Aussagen des Segestes in Rom frei geben, möchte man sich gar nicht vorstellen. Möglicherweise ließ Germanicus ihn auch gewähren, da er für ihn seine Bedeutung mit dem Tag des Triumphzuges verloren hatte. Und erwies es ihm als letzten Dienst ihn vor dem Tribunal sagen zu lassen was er wollte, ob falsch oder richtig, zumal er mit sich selbst und seiner eigenen Reputation und Zukunft voll auf beschäftigt war. So plauderte sich Segestes in die Weltgeschichte. Aber er musste im Jahre 17 + nicht nur über die Dinge Auskunft geben, die sich im Zuge der Varusschlacht 9 + ereigneten, sondern eben auch über seine Beweggründe, die ihn sechs Jahre später dazu veranlassten, sich mit seiner Familie in die Hände von Germanicus zu begeben. Somit lässt es sich nachvollziehen, dass viele Aussagen die einst die römische Geschichtsschreibung dokumentieren konnte, nur auf diese unmittelbaren Teilnehmer und Zeitzeugen wie es auch Segestes einer war, zurück geführt werden können. Aussagen von ihm vor allem bezogen auf die Varusschlacht, wo er keine Mitwisser zu befürchten hatte. Für Germanicus konnte es nichts besseres geben, als die Überläufer 15 + mit offenen Armen in Empfang zu nehmen, denn sie waren später eine der wenigen erfreulichen Begebenheiten, die er auf seinem Konto verbuchen konnte. Denn seinen erfolglosen Kriegen und erst recht seinen zweifelhaften und umstrittenen Siegen ließ sich nicht viel Positives abgewinnen, denn das Resultat war letztlich die von oben angeordnete Kapitulation. Zu wenige Römer kraft Geburt und zu viele zweifelhafte Hilfstruppen standen den Unbillen der Natur und einer scheinbar kaum versiegenden Masse an germanischen Kämpfern gegenüber die immer wieder Zuwachs aus den Elbregionen bekamen. „Das war der Römer Not“. So konnte Segestes damals ungestraft auch über viele Dinge unkontrollierbare und
nicht revidierbare Behauptungen aufstellen, denn es gab niemanden der ihm Einhalt geboten hätte oder gebieten wollte. Warum auch, denn es passte alles gut in die damalige politische Welt. Und so wie die Warnung an Varus, vielleicht besser gesagt Behauptung von Segestes aus dem Jahre 9 + wie eingemeißelt die Zeiten in den Geschichtsbüchern überdauerte, erging es möglicherweise auch seinen Darstellungen die er im Jahre 17 + über die Zusammenhänge seiner Flucht im Jahre 15 + von sich gab. Was die Angaben Strabo`s über den Triumphzug anbelangten, so handelte es sich dabei wohl eher um einen Kenntnisstand von teilweise oberflächlicher Natur, der zum Allgemeinwissen der Zeit gehörte und was sich eben so herum gesprochen hatte, mehr konnte er nicht zur Sachlage beitragen. Er nutzte teilweise die gängige Mund zu Mund Methode die unseren heutigen Medien im Zeitalter der Fake News voraus ging und reicherte sie an bzw. recherchierte noch diverse Details in der Folgezeit nach, bis er alles vermutlich im Jahre 18 + zu Papier brachte. Und zu Segestes kann man resümierend sagen, dass das, was von ihm im „Auditorium de jure“ an die verlesene Öffentlichkeit geriet, wo man ihn vielleicht schon fasst wie einen Delinquenten behandelt haben könnte, für ihn wohl konsequenzlos blieb. Denn sowohl das von Strabo zum Triumphzug nieder geschriebene, sowie das von Segestes im Jahr 17 + gesagte, als auch das von Tacitus später mühsam recherchierte, blieb bis in unsere Tage erhalten. Immerhin über 2000 Jahre und es stieß folglich wider besseren Wissens zwangsläufig immer wieder auf allgemeine Akzeptanz. Strabo ließ sich nichts zu Schulden kommen und es traf in kein Groll römischer Kaiser, denn es waren eher harmlose Details, die sich bei ihm nach lesen lassen, wie etwa einzelne Namen aus der germanischen Fürstenfamilie und diverse Verwandschaftsverhältnisse. Und Tacitus blieb hundert Jahre später völlig unangetastet von Seiten der Herrscherhäuser. Von Segestes, wenn wir in ihm einmal eine der Hauptquellen der Zeit sehen möchten, überdauerten dank Strabo und Tacitus konkrete Informationen, sowohl was die Varusschlacht anbelangt, als auch über das was sich sechs Jahre später um seinem Fürstensitz tat. Und so tritt immer wieder die Kardinalfrage in den Vordergrund von wem, als außer Segestes die vielen Informationen und Interna der damaligen Zeit gestammt haben sollen. Segestes dem über allen stehenden Familienoberhaupt, das für seine ganze in Rom anwesende Sippe sprach. Alle hatten sie in Rom seine Anweisungen zu befolgen, mussten schweigen und ihm das Zepter und den Vortritt überlassen. Wer von ihnen auf möglicherweise spitzfindig gestellte Fragen von Seiten der Regierungsbeamten geantwortet hätte, konnte sich selbst und Segestes schnell in Gefahr bringen, würde dann von ihm fallen gelassen werden und ging einem ungewissen Schicksal entgegen, denn sein Gerüst durfte nicht ins Wanken gebracht werden. Es dürfte eine Zeit der Willkür geherrscht haben, in der so mancher Germane auf der Strecke blieb, denn über das Schicksal der meisten von ihnen die am Triumphzugtag beteiligt waren, ist uns nichts bekannt geworden und ihre Spuren verliefen sich. Letztlich konnte, wenn überhaupt nur Segestes versucht haben die Haut all jener retten, die sich ihm anvertraut hatten, nachdem sie ihr Schicksal unerwartet bis ins weite Rom verschlug. Strabo schilderte es als einen günstigen Umstand, den sich Segestes 15 + für seine Flucht zunutze machte. Er bestand darin die Nähe zu Germanicus zum Anlass zu nehmen um mit ihm in Kontakt zu treten. Eine passende und bequeme Gelegenheit den Absprung aus einer sich anbahnenden Krisenregion zu wagen und um allen zukünftig drohenden Gefahren aus dem Weg zu gehen. Und es erschien ihm wohl wie ein Wink des Himmels gewesen zu sein noch im letzten Moment den bald ausbrechenden Schlachten auf diesem Wege entkommen zu können. All das, was Segestes damals einfädelte, könnte im Jahre 17 + den Hofbeamten und hohen Herren des Senats die ihn zu sich kommen ließen, auch wie eine feige Tat vorgekommen sein. Eine Tat aus der puren Berechnung heraus um seine eigene Haut zu retten, hätten ihn also demnach zu einem Überläufer werden lassen. Eine Handlungsweise die auch in Rom nichts ehrenwertes an sich hatte. Und auch das barg Risiken in sich, die seine gesamte Glaubwürdigkeit erschüttern konnten. Segestes musste sich also nicht nur für sein Verhalten im Vorfeld der Varusschlacht verantworten, er musste auch noch triftige Erklärungen für das liefern, was sechs Jahre nach Varus geschah um vom Tribunal nicht als Abtrünniger aus niederem Selbstinteresse und Beweggründen angesehen zu werden. Dieses Hintergrundwissen, dass Strabo noch fehlte besaß Tacitus. Damit ausgestattet, konnte er hundert Jahre später um das Geschehen am Hof des Segestes herum im Zusammenhang mit seinem Abgang ein anderes von ihm angereichertes Bild malen. Denn die von Segestes dargestellten Rechtfertigungsbemühungen lassen sich auch aus einer anderen Perspektive heraus betrachten. Eine Sichtweise die den Verdacht aufkommen lässt, dass Segestes damals vieles zu verbergen hatte. Und der, man möge es kaum glauben, durch seine an Varus „nicht“ ergangene Warnung die Varusschlacht erst zu einem gesamt germanischen und damit durchschlagenden Erfolg werden ließ. Daraus lässt sich dann wie bereits aus mehreren Blickwinkel betrachtet eine plausible Erklärung dafür ableiten, warum Varus den Germanen nicht nur wegen Unterzahl an Kämpfern, sondern auch wegen seiner persönlichen Unwissenheit unterliegen musste. Segestes musste also seinerzeit, betrachtet man sowohl die Umstände im Herbst 9 + als auch die im Frühjahr 15 + in Rom in zweifacher Hinsicht um seine Reputation bangen und mit Worten ringen. Segestes sah sich genötigt eine ganze Kette gespickt mit Argumenten zusammen zu reimen und musste sich zum Meister der Vortäuschung und Intrige aufschwingen um die kritische Phase vor und nach dem Triumphzug zu überstehen. Denn alles hatte in sich schlüssig zu sein um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, dass es doch alles ganz anders gewesen sein könnte. Denn es gab sicherlich Kräfte in Rom, die neben Arminius, dem sie nie habhaft werden konnten, gerne seinen Kopf an dessen Stelle gesehen hätten, da sie ihm nicht glaubten. Komprimieren wir alle Theorien und Hypothesen die sich um Segestes anstellen lassen, verdichtet sich auch unser Blick auf die Varusschlacht und ihr Verlauf erscheint uns immer plastischer zu werden. Es ist nicht mehr die weit entfernt zurück liegende Schlacht sondern wird zur historischen Hardware und lässt sich durch Plausibilität zum Leben erwecken. (15.05.2020)