Dienstag, 18. Februar 2020
Das Gefecht von Kalkriese fiel der römischen Zensur zum Opfer - Aber das Rätselraten um die Glasaugen geht weiter
Und dies ließe sich in der Tat mit einer vorstellbaren „palatinischen Zensur“ begründen, denn das nieder schmetternde Resultat wollte man tunlichst unter den Teppich kehren. Und es würde auch erklären, warum dem Historiker Tacitus damals so wenig an Detailinformation zum Gefangenenaustausch zur Verfügung stand, über das er hätte berichten können. Denn wie sollten wir es uns anders erklären, dass er nur so wenige Worte über den Gefangenenfreikauf unter Vermittlung der Angrivarier verlor. Und wer wollte sich in Rom nach den vielen Schlachten, dem auch sicherlich von römischer Seite ersehnten Frieden und der triumphalen Siegesfeier für den erfolgreichen „Pseudo“ Feldherrn Germanicus im Jahre 17 + schon eingestehen, dass man sich mit dem Erzfeind so kurz danach schon wieder am „grünen Tisch“ treffen musste. Denn wir erinnern uns, dass die Schlacht am Angrivarierdamm im Jahre 16 + auch für Rom kein Vergnügen darstellte. Allein schon zugeben zu müssen, dass die Germanen immer noch im Besitz vieler gefangener Römer waren und man sich nun kleinlaut irgendwo in der germanischen Tiefebene mit ihnen arrangieren musste um diese Gefangenen wieder in Empfang nehmen zu können bzw. sie zurück kaufen zu müssen, dürfte bitter gewesen sein. Und die Wortwahl „zurück kaufen“ erweckt nicht den Eindruck, als ob sich in diesem Zusammenhang die Germanen von Rom unter Druck setzen lassen wollten, denn sie saßen in diesem Fall am längeren Hebel. Auf ein peinliches und dazu erniedrigendes Schauspiel der Unterwürfigkeit folgte dann zu allem Überfluss noch ein unrühmliches Ergebnis. Es wurde zum Fiasko für die damalige Weltmacht Rom, das man nicht unbedingt an die große Glocke hängen wollte. Und schon gar nicht als sich heraus stellte, dass der Ballanceakt später auf der ganzen Linie scheiterte, denn in Kalkriese missglückte nicht nur die Regie sondern die ganze Aktion, denn es kam alles anders als gedacht. Aber es sprechen viele der Kalkrieser Funde für diese Theorie, denn sie lassen sich gut in das geschilderte Geschehen und Szenario eines Gefangenenaustausches einfügen. Unter den vielen frei zu kaufenden Legionären die, wie man annehmen kann dort im Austausch frei kommen sollten und die zwei Jahre zuvor bei dem Herbststurm 16 + schiffbrüchig geworden an Land gespült wurden, könnten sich auch eine oder mehrere bedeutsame römische Personen aus betuchtem Hause befunden haben. Und je hoch gestellter die römischen Gefangenen waren, um so desaströser wirkte sich das Versagen der Weltmacht samt Kaiser Tiberius auf die in Italien lebenden betuchten Angehörigen aus. Es waren die Militärs aus gehobenen Positionen, für die man auch bereit war gewisse Vermögenswerte den alten Schatullen zu entnehmen, um sie den Germanen für den Rückkauf anzubieten. Denn unter den Funden waren bekanntlich auch jene gut erhaltenen und daher vermutlich noch nie im Umlauf gewesenen „uralt“ Münzen die aus einer Prägezeit um das Jahr 180 vor unserer Zeitrechnung stammten. Sie stammten aus einer frühen Epoche in der es dem römischen Imperium noch nicht einmal gelungen war Griechenland in Gänze in Besitz zu nehmen und es den Makedonen abzutrotzen. Denn die entscheidende Schlacht bei Pyda wurde erst im Jahre 168 – geschlagen. Jene schon fasst mythologisch zu nennende und denkwürdige Schlacht aus der sich damals die Überlebenden nach Thrakien absetzen konnten, wo sie ein neues Reich begründeten. Aber die undefinierbaren Glasaugenscherben von Kalkriese und anderswo haben es der Forschung angetan, sie liefern uns nicht nur einen Hinweis auf die frühe römische Handwerkskunst aus biblischen Zeiten, sondern verlangen auch nach möglichst plausiblen Antworten und fordern die einschlägige Expertenwelt heraus. Für ihre Entstehungsgeschichte ließen sich möglicherweise zwei bis drei Erklärungen finden. Vor allem aber passen sowohl die eine, als auch die anderen Alternativen noch sehr gut in den Kontext eines anzunehmenden Gefangenenaustausches. Der angenommene Verlauf gewinnt somit an Glaubwürdigkeit und stärkt die Theorie einer aus dem Ruder gelaufenen Aktion als sich die Waffen noch nicht ganz abgekühlt hatten in einem sensiblen Grenzgebiet. Es sind diese zum einen die Hypothese einer Bahre, also einer Kline wobei man an eine Totenbahre denkt und wie sie auch von einer italienischen Expertin zur Diskussion gestellt wurde, jene bei der man sich auch die Reste zerbrochenen Tischgeschirrs vorstellen kann und eine weitere, auf die noch zu sprechen sein wird. Blickt man visionär auf das zurück liegende Geschehen in Kalkriese, so muss man sich tief der damaligen Situation vergegenwärtigen und sie sich nach eigenem Empfinden ins Bewusstsein rufen. Denn ohne Phantasie und Einfühlungsvermögen erstarrt jegliche Rückbesinnung in distanzierter Nüchternheit. Und es würde sich ein Eindruck verfestigen die Archäologie wäre vergleichbar mit den gekachelten Räumlichkeiten der pathologischen Abteilungen innerhalb unserer Kreiskrankenhäuser, umgeben von leblosen und blutleeren Sachwaltern der Historie. Dem sollte man entgegen wirken, denn die Geschichte lebt. Es war ein sonderbares unscharfes Ereignis, dass sich damals vollzog und sich in den Konturen schwer greifen lässt. Vermutlich 17 + oder 18 + weit vor den Toren der Siegfriedsstadt Xanten fand es statt und vielleicht war ja auch Arminius noch selbst daran beteiligt, denn Strabo deutete es an. Die zahlreichen Auguren insgesamt zehn an der Zahl verliehen zwar dem Marsch ein gespensterhaftes Aussehen, denn auch die Legionäre dürften es nicht gewohnt gewesen sein in Begleitung so vieler Priester reiten zu müssen. Denn die Auguren zeichnete nicht nur ihr Stab aus, sondern sicherlich auch die dazugehörige passende Kleidung bei der man schon fasst an eine kapuzenartige und den Mönchen ähnliche Umhüllung denken möchte. Wie mögen die Germanen auf das Auftauchen dieser unbekannten Gestalten fasst schon Wesen möglicherweise noch in weiß reagiert haben. Was sahen sie in ihnen. Stand da etwa schon der Gedanke an mögliche Bekehrungen im Raum. Waren es jene Priester denen sich damals auch Segimundus am Ubier Altar in Köln unterworfen hatte oder musste. Brachten sie unter Umständen schon einen Misston in den Gefangenenaustausch. Aber das Mitführen großer und sperriger Totenbahren will nicht so recht zum Verlauf passen, denn man wollte eigentlich lebende Römer in Empfang nehmen und keine toten. Ebenso befremdlich wirkt die Vorstellung, dass man augenartige und in diesem Sinne eigenartige Glasobjekte an Holzgerüsten oder Gestellen befestigt haben könnte. Wie sollte man es damals technischerseits angestellt haben, Glaselemente an Holzrahmen stabil zu montieren um sie auf robusten Wegen zu transportieren zu können. Der Nachbau einer Kline der Trier Universität zeigt Schnitzarbeiten enthält aber keine Anhaltspunkte oder Hinweise die auf das Vorhandensein bzw. die Montage von Glasteilen schließen lassen. Es müsste schon eine findige Technik existiert haben um Glas mit Holz zu verbinden. Verkleben ließen sie sich jedenfalls nicht und im Holz eingelassene oder versenkte Teile dürften keinen langen Bestand auf einem holprigen Transport gehabt haben. Aber es lässt sich statt der aufwändig angefertigten Totenbahre noch eine andere Dramaturgie entwerfen. Denken wir uns in die damaligen Verhältnisse hinein. Eine Katastrophe bei der die alten Rümpfe von aus Holz gefertigten Schiffen wie Streichhölzer zerbarsten. So muss man auch stark davon ausgehen, dass zahlreiche Römer dabei ertranken und dann angespült wurden. Aber auch die Vorstellung passt, dass von den Germanen viele Legionäre aufgelesen wurden die noch lebten, sich aber Verletzungen zugezogen hatten. Ob man in Germanien die toten Römer begrub oder der Verwesung überließ ist unklar. Aber die Germanen konnten den überlebenden Römern aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes sicherlich auch ihren Stand ansehen und sie dadurch auch von ihren Untergebenen unterscheiden. So wird man sie in Obhut genommen haben, auch wenn sie versehrt waren. Je nach dem wie sich ihr Gesundheitszustand entwickelte, könnte man versucht haben auch diese noch „zu Geld“ zu machen und es ist denkbar, dass man dies der römischen Seite signalisierte. Vereinfacht ausgedrückt, sind nicht alle Gestrandeten gesundheitlich auf der Höhe, so bringt zum besseren Transport geeignete Bahren mit. Also Bahren für lebende und nicht für tote Legionäre. War man in Xanten voraus schauend brauchte man ihnen dieses gar nicht erst mitzuteilen, denn es ließ sich erwarten. Das es Tacitus grundsätzlich überhaupt für nötig hielt über diesen Vorfall Worte zu verlieren deutet darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um keine kleine Randanekdote oder Affäre der Weltgeschichte handelte, sondern um ein bedeutungsvolles und tragweites Ereignis, denn Tacitus verlor sich eigentlich nicht in Nebensächlichkeiten. Was wiederum Anlass gäbe zu schlussfolgern, dass sich hier eine recht hohe Anzahl von Legionären im Gewahrsam der Germanen befunden haben könnte. Ziel soll es jedoch hier sein, über diese Anmerkung hinaus einen neuen Blickwinkel herzustellen. Denn da haben wir ja noch die scheinbar nie da gewesene Zusammenballung von Auguren die sich anhand der gebrochenen Metallteile bei Kalkriese nachweisen lässt. Denn zehn Augurenstäbe sprechen auch für die Anwesenheit von schon fasst inflationär zu nennenden zehn Auguren. Wir wissen, dass die römische Welt nicht nur auf Griechenland, sondern auch auf das alte Ägypten fixiert war. Und wir wissen, dass in Ägypten eine der Wiegen des Augurenstabes, also des ursprünglichen Hirtenstabes stand. Uns ist auch nicht entgangen, dass der ägyptische Hohepriester Imhotep ein Begründer und Wegbereiter der alten Heilkunde war und später sogar als Heilgott verehrt wurde. Und zu den Insignien des Imhotep in seiner Funktion als „Heqa-hut-aa“ gehörte auch der Krumm - also der Augurenstab. Müsste oder sollte man etwa die Augurenschwemme bei den Chasuaren so verstehen, als ob sich diese Auguren einer älteren Tradition gegenüber verpflichtet sahen oder fühlten, bzw. sogar in der Verantwortung standen zu heilen. Nämlich letztlich auch der Krankenfürsorge und Verwundetenversorgung verletzter Legionäre zu dienen hatten. Gab es da noch ältere Verbindungen wonach die Auguren nicht nur als Priester bei Zeremonien oder sakralen Akten mit zu wirken hatten, oder als Wahrsager in Erscheinung traten sondern auch medizinische Hilfe zu leisten hatten. Und in dem Zusammenhang also nicht nur die Totenrituale zu praktizieren hatten, sondern das sie auch ärztliche Kenntnisse besaßen und daher ihre Anwesenheit nicht nur erforderlich, sondern sogar erwünscht war. Wie anders sollten wir uns die zehn Auguren in Kalkriese erklären. Denn wir dürfen in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass im Boden von Kalkriese und wen verwundert es da noch, auch medizinisches Gerät gefunden wurde, dass möglicherweise für die Erstversorgung der Heimkehrenden gedacht war. So schließt sich sich der Kreis um die Theorie des Gefangenenaustausches auf Basis dieser Überlegungen um ein weiteres Mal in dem sich die gesammelten Argumente zusätzlich verdichten lassen. Wir hätten es also bei den „toten Glasaugen“ von Kalkriese mit Gegenständen zu tun, die man auch in einen Zusammenhang mit einer eher einfach ausgestatteten Krankenbahren Variante bringen könnte. Aber auch in diesem Fall hätte man die Glasaugen an den Kanten der Tragegestelle befestigen müssen was ebenso schwer vorstellbar ist, wie bei aufwändig gefertigten aufbahrfähigen Klinen. Primitive Liegen wie sie in allen Militärlagern und an allen Fronten der Welt gebräuchlich waren und auch wohl dem leidigen Zweck geschuldet waren häufig genutzt werden zu müssen. Sie hatten nur die Mindeststandards zu erfüllen und waren eben nicht nur für Verstorbene, sondern zuvorderst für verwundete Legionäre gedacht. Eine Erklärung, die nicht nur für Kalkriese zutreffen würde, sondern gleichermaßen für alle Fundstätten nämlich in allen Römerlagern in NRW und darüberhinaus, denn es wurde in diesen Zeiten bekanntlich heftig gekämpft und die Schreiner waren ausgelastet. Damit hätten wir zwar eine Verbindung zu einer Standardliege und auch zu einem gläsernen Augensymbol hergestellt, aber immer noch keine schlüssige Erklärung dafür gefunden, wie man Glasaugen mit Holzgestellen verbunden haben könnte. Lässt man den Gedanken fallen, die Glasaugen könnten an den Klinen einen Platz gefunden haben, so kristallisiert sich neben der Tischgeschirr Überlegung noch eine weitere Möglichkeit heraus. Nämlich die, die sich um die Frage dreht, ob römische Legionäre auf ihren Feldzügen Glücksbringer am Körper trugen. Mangels anderer Hinweise wird die Phallussymbolik gerne damit in Verbindung gebracht. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Nämlich der so genannte böse Blick, der im weltweiten Volksglauben tief verwurzelt ist und zu den ältesten Formen des Aberglaubens zählt. Römische Legionäre sahen dem Tod in Gestalt des Feindes mit gezogenem Dolch in der Hand häufig ins Auge und suchten Schutz in auswegloser Situation. So könnte der Gedanke nahe liegend sein, dass es sich bei den Glasaugen um das handelte, was man schon vermutet. Denn man kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass sie derartige Gegenstände am Leib trugen und bei sich führten die wir heute auch Talisman nennen. Was uns wie so oft fehlt ist der durchschlagende Beweis für diese Theorie, denn diesen bleibt uns die Historie schuldig. So können wir uns weder auf Funde noch auf andere schriftliche Hinweise stützen und man kann es nur als eine weitere These in den Raum stellen. Aber wir spüren noch ihre einfach gestrickte Mentalität und dürfen es sicherlich in Betracht ziehen. Natürlich sind dies Überlegungen, die in der Forschung selten aufgegriffen werden. Denn sie sind der Wissenschaft in der Regel fremd, da sie die Archäologie zu sehr vermenschlichen würden und was in Stilblüten enden könnte. Denn unser eigenes Verhalten entzieht sich unserem menschlichen Vorstellungsvermögen. Wir wissen da bekanntlich selbst am Besten was gemeint ist. Und es verträgt sich daher naturgemäß nicht gut mit mikroskopischen Untersuchungen, Spektralanalysen oder der Radiokarbondatierung von Bodenfunden. Viele Legionäre starben, blieben völlig unversehrt, aber viele wurden nur verletzt waren aber nicht mehr geh- oder transportfähig. Auch diese Dinge galt es also immer zu bewerten, wenn man sich mit der Schlachtfeldforschung auseinandersetzen will. Die Glasaugen von Kalkriese wären somit für den „Helden“ das einzig Greifbare einem Rettungsanker gleich, das ein leicht oder schwer verletzter Legionäre möglicherweise bis zuletzt mit seinen Händen umklammern konnte und ihm vielleicht auch in seiner letzten Stunde Kraft verlieh. Man sollte es nicht außer acht lassen, denn für so manchen Legionär wurde die Trage auch zur Totenbahre und da wollte man sich doch, zumal in heidnischen Zeiten bis zum letzten Atemzug auch vor dem Aberglauben sicher fühlen. Das Glasauge gegen den bösen Blick der Geister oder der falschen Götter, man konnte ja nicht wissen von woher die Gefahr drohte und wollte es nahe bei sich haben. Doch warum hätten sie sich dafür an einer Scherbe bedienen sollen. Ein gegenständliches Bezugsteil in Form eines Auges könnte schon ausgereicht haben um darin höhere Kräfte sehen zu wollen. Ein Auge, dass sich ursprünglich an anderer Stelle befand, was aber unserer Phantasie breiten Raum gibt. Letztlich aber mussten die verletzten und vielleicht auch die toten Legionäre von Kalkriese an den Rhein transportiert werden, sodass man wohl davon ausgehen kann, dass dies der vereinfachenden Umstände wegen auf dem Wasserweg erfolgte. Sterbliche Überreste von Legionären aus reichen Familien denen letztlich das Glasauge auch nicht mehr helfen konnte, könnte man möglicherweise auf Betreiben von Angehörigen auch in Italien in einer Familiengruft bestattet sehen wollen. Eine in der Tat vage aber doch noch denkbare Theorie, die zum damaligen Zeitgeist passte, die aber nicht vom Gedanken an die Tischgeschirr Hypothese ablenken soll. Aber eine weitere Überlegung, die auch die Theorie eines Gefangenenaustausches nicht erschüttern würde. Aber auch eine Hypothese die erkennen lässt, wie weit man sich auf dieser Basis bereits von der Überlegung entfernt hat oder sich verabschieden kann, in Kalkriese müsse ein Varus seine Finger im Spiel gehabt haben. Und der Möglichkeit, dass es sich bei den Glasaugen auch um die Dinge des Alltags gehandelt haben könnte, möchte ich mich im nächsten Abschnitt widmen. (18.02.2020)